Anja Utler Am Anfang dieser experimentellen Dichtkunst steht ein verschlungenes Sprachspiel um den emphatischen Ausruf „Ach“. In fünf lautlich ähnlichen, aber in ihrer Bedeutung ganz unterschiedlichen Wortbildungen zeigt uns die in Wien lebende Dichterin Anja Utler (Jahrgang 1973) ihr „Ach“: „ach! sich betrachten das: und die flachen und / flachen sich, so! als machten sie – beinah – / sich nackt, für einander – …“ So beginnt Anja Utlers Gedichtband „brinnen“ (2006), wobei nicht nur das Titelwort in diverse Metamorphosen getrieben wird: mittelhochdeutsch „brinnen“, althochdeutsch „brinnan“, neuhochdeutsch intransitiv so viel wie „brennen“. Was brennt hier, was brinnt, was rinnt? Es brennt der Sprachleib, es brennt die Leidenschaft, es brinnen und rinnen die Sprachströme.Nach ihrem Studium der Slawistik, Anglistik und Sprecherziehung an der Universität Regensburg promovierte Anja Utler 2003 über russische Dichtung. Ihr Interesse an der Verflechtung von Sprache und Körper, von Poesie und Naturzeichen, hat Christoph Meckel so kommentiert: „Anja Utlers Dichtung beginnt in Grundwassergeräuschen der Sprache, wo Konsonant und Vokal noch ohne Ausdruck sind, sich noch nicht zu Wort und Klang zusammenschließen.“ Die Dichterin selbst hat in einer Betrachtung über die Verbindung von Lyrik und Musik Adalbert Stifter zitiert: „Es war ein Gesang, so klar und schmetternd wie von Lerchen. Es waren aber nicht Lerchenstimmen, sondern Menschenstimmen, Mädchenstimmen. Sie sangen jenes Lied ohne Worte, in welchem im Walde und in Bergen das Herz sich in allerlei Schwingungen der Stimme, im Stürzen und Heben derselben, im Wandeln und Bleiben ausspricht … Es war die Lust und die Freude, die sie tönten.“ Und so tönt es stockend und wieder fließend und konsonantisch und vokalisch auch im neuen Gedichtband „jana, vermacht“, in dem eine Stimme der Kriegsgeneration, der Großmutter des Ich, auf eine Stimme der Gegenwart trifft, die aus dem Schweigen der Kriegsteilnehmer heraustritt. (M. B.) Auszeichnungen u. a.: Leonce-und-Lena-Preis (2003), Horst-Bienek-Förderpreis für Lyrik (2005), Förderpreis der Deutschen Schillerstiftung (2006), Karl-Sczuka-Förderpreis (2008). Veröffentlichungen (Auswahl): – „aufsagen“, Gedichte, Bunte Raben, Lintig-Meckelstedt 1999 – „münden – entzüngeln“, Gedichte, Ed. Korrespondenzen, Wien 2004 – „brinnen“, Gedichte, Ed. Korrespondenzen, Wien 2006 – „plötzlicher mohn. Münchner Reden zur Poesie“, Stiftung Lyrik Kabinett, München 2007 – „jana, vermacht“, Gedichte, mit Audio-CD, Ed. Korrespondenzen, Wien 2009 Sonntag, 30. August, 18 Uhr, Schlossgarten |
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