
Autorenporträt: Volker Schlöndorff
Lesung und Gespräch mit Hajo Steinert,
anschließend Film „Homo Faber“, F/D/GR 1991, 117 min
>„Licht, Schatten und Bewegung“ – das ist der Titel der sowohl in autobiografischer als auch in filmgeschichtlicher Hinsicht Aufsehen erregenden Lebenserinnerungen des bedeutenden deutschen Filmregisseurs Volker Schlöndorff. Licht, Schatten und Bewegung, das sind drei Worte, die die Grundsituation an einem Drehort umschreiben. Volker Schlöndorffs großartig geschriebenes, sehr persönliches, in jedem Kapitel geradezu filmisch spannendes, aber an keiner Stelle auf Tratsch und Klatsch setzendes erstes Buch, berichtet auf faszinierende Weise von der Arbeit an seinen Filmen, von den Glücksmomenten, die er dabei empfand, von Selbstzweifeln, von Krisen.
1979, fünf Jahre nach seinem Durchbruch auf dem deutschen Kinomarkt mit der Böll-Verfilmung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ (gemeinsam mit seiner langjährigen Ehefrau, der Regisseurin Margarethe von Trotta), wurde er für die Verfilmung des Romans „Die Blechtrommel“ (1978) von Günter Grass mit dem Oscar ausgezeichnet. Es war der erste deutsche Film seit 1927, der diese Auszeichnung erhielt. 26 Jahre später, nach vielen weiteren erfolgreichen Literaturverfilmungen, wurde er im Jahr 2007, nach jahrelangen Vorarbeiten für ein Projekt mit dem Arbeitstitel „Die Päpstin“ von seinem Produzenten, wie Schlöndorff selbst sagt, „gefeuert“. Endlich konnte er die Anregung des Verlegers Michael Krüger aufgreifen und anfangen, über sein Leben, seine Reisen, seine Freunde, seine Vorbilder, seine früh verstorbene Mutter, seine Kindheit, Jugend, Lehrzeit, seine Familie und selbstverständlich auch über Regisseure, Schriftsteller und Schauspieler, mit denen er Umgang pflegte, denen er seinen Erfolg verdankt, zu schreiben.
Schlöndorff, der 1956 im Rahmen eines Schüleraustauschs nach Frankreich ging und dort auch studierte, erlernte sein Handwerk bei den Meistern der „Nouvelle Vague“: Louis Malle, Jean-Pierre Melville, Alain Resnais. Er schrieb Anfang der sechziger Jahre das Drehbuch zu „Der junge Törless“ nach Robert Musil, gründete 1969 in München eine eigene Produktionsfirma und schaffte es, als einer von wenigen europäischen Regisseuren, sich in Hollywood zu behaupten. Mit der Verfilmung des Max Frisch-Romans „Homo Faber“ (1991) kehrte der Weltenbummler nach Deutschland zurück, wurde 1992 Geschäftsführer der legendären Studios in Babelsberg, verfilmte Michel Tourniers Roman „Der Erlkönig“ und stellte im Jahre 2000 auf der Berlinale den Film „Die Stille nach dem Schuss“ vor, in dem er die Geschichte einer Terroristin erzählt, die es aus dem Westberliner Untergrund nach Beirut und Paris verschlägt, auf der Flucht einen Polizisten erschießt, in der DDR untertaucht, bis das historische Jahr 1989 für ungeahnt neue politische Verhältnisse sorgt. Volker Schlöndorff ist kein Regisseur des „l’art pour l’art“. So sehr er, von Film zu Film eine neue Sprache suchend, auf eine von Ideologien unbeeinflusste Filmästhetik setzt – als unpolitisch hat er seine Arbeit nie verstanden.
Ein weltweit bekannter Filmregisseur wie der heute 69-jährige Volker Schlöndorff hätte alle Voraussetzungen, sich in der Darstellung seines bewegten Lebens zu einer Nabelschau hinreißen zu lassen. Aber es ist gerade die Uneitelkeit, die in keinem Kapitel zu Überschwang oder Larmoyanz neigende literarische Darstellungsweise, die die Autobiografie für den Leser – und nicht nur denjenigen, der sich in Schlöndorffs Werk auskennt – zu einem fesselnden, ehrlichen, nachdenklich stimmenden Buchereignis macht.
Es sei erlaubt, aus dem Vorwort des Autors zu zitieren: „Auf meinem Dachboden lagerten, ein Leben lang von Umzug zu Umzug mitgeschleppt, Kisten und Koffer voller Briefe, Fotos und Tagebücher. Die trug ich nun in ein eigens angemietetes Arbeitszimmer in der Nachbarschaft und stapelte die Papiere, nach Jahrgängen geordnet, auf zwei große Tische. Tagelang vertiefte ich mich in das verstaubte Zeug. Aus der Kindheit im Taunus, aus der Jugend in Frankreich, aus den Jahren in München, New York und Berlin flüsterten mir Stimmen wehmütig, vorwurfsvoll und zärtlich zu, es sei nun endlich Zeit, sich ihrer zu erinnern. (…) Wahllos begann ich aufzuschreiben, was mir gerade einfiel – in kühnen Sprüngen vorwärts und rückwärts durchs Leben. Allmählich setzte sich die gute alte Chronologie durch, nur selten vergewisserte ich mich in den Papieren eines Satzes oder eines Datums, manchmal zitierte ich daraus. Nach einem halben Jahr hatte ich 650 Seiten Papier mit Tinte bekleckert. Beim Film hätte ich diesen Entwurf Rohschnitt genannt, nun ging es also an den Feinschnitt, das heißt das mühsame Geschäft des Abschreibens. (...) Nach an die dreißig Filmen müsste eigentlich alles gesagt sein. Warum also noch ein Buch? Weil man mir oft vorgehalten hat, in meinen Filmen käme ich nicht vor, versteckte ich mich hinter den Vorlagen ... Es stimmt, selbst Erlebtes erschien mir nicht immer wichtig. Leseerlebnisse dagegen waren regelrechte Offenbarungen: Erst wenn ich meine Gefühle in der Literatur wiederfand, begann ich sie ernst zu nehmen; umgekehrt erlebte ich beim Lesen um Jahre im Voraus, was mir erst später zustieß. Von diesen Wechselwirkungen will ich erzählen, von den Büchern, die ich gelesen, von den Filmen, die ich gemacht, von dem Leben, das ich gelebt habe – und wie das alles zusammengehört.“
Hajo Steinert
Samstag, 30. August, 20.30 Uhr, Markgrafentheater
im Anschluss
Volker Schlöndorff-Filmreihe: Homo Faber
nach dem Roman „Homo faber“ von Max Frisch
F/D/GR 1991, Regie: Volker Schlöndorff, mit Sam Shepard, Julie Delpy, Barbara Sukowa u. a., 117 min, ab 12 Jahren
Auf dem Rückflug von Venezuela muss die Maschine des Ingenieurs Walter Faber mitten in der mexikanischen Wüste notlanden. Für Faber ist dies der Anfang einer Kette von Ereignissen, die sein Leben von Grund auf verändern sollen.
Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Max Frisch gewann 1992 im Rahmen des Deutschen Filmpreises den Film Award in Silber und den Produzentenpreis des Bayerischen Filmpreises.
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