Autorenporträt: Josef Winkler
Lesung und Gespräch mit Verena Auffermann

Wer ist Josef Winkler, der Büchner-Preisträger des Jahres 2008? Ein fünfundfünfzigjähriger Österreicher, ein Autor aus Kärnten, aufgewachsen auf einem Bauernhof. Was treibt ihn um, lässt ihn nicht los: „Vom Ackermann aus Kärnten“ (1980) bis zu „Roppongi. Requiem für einen Vater“ (2007). Josef Winklers Werk ist nicht zu verwechseln, obwohl manche sagen, er sei einer der vielen Zöglinge des dominanten Österreichers Thomas Bernhard. Aber das stimmt nicht. Josef Winkler übersetzt Bilder in Sprache. Man kann seine Sätze sehen. „Hast du gesehen? Der Stimniker ist mit einem schwarzen Mercedes durchs Dorf gefahren.“ Josef Winkler beschreibt seine Gegenwart, er beschreibt das, was ihm ins Auge fällt, oder worauf sein Auge fällt.
Die zentrale Figur der frühen Bücher und von „Roppongi“ ist der Vater. Er ist es, der seinen Sohn nie auf den Schoß genommen hat, der ihm die Liebe verweigerte, der auf dem „Enzhof“ im Kärntner Dorf Kamering fast hundert Jahre als Patriarch herrschte und erst im Alter von 95 Jahren endgültig die Mistgabel aus der Hand gab. Der abgewiesene Sohn rechnet mit seinem Vater ab, erst in Wut, dann schickt er, nach des Vaters Tod, in einer Art nachgetragener Liebe, ein „Requiem“ ins Reich der Toten hinterher.
Josef Winkler fand sein Lebensthema „zu Hause“. Hineingeboren in einen strengen Katholizismus, der den Alltag bestimmte, mit den Bildern der Kirche, den Priestern und ihren Messgewändern, dem Weihrauch, den Heiligenbildern und Wachsblumen, mit den Lügen und der Beichte, mit kirchlichen Festen und frommen Gesängen, mit Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen und mit dem Alltag auf dem Bauernhof. Im Zentrum des häuslichen Lebens standen die Tiere, sie wurden großgezogen, um geschlachtet zu werden.
Ein Urerlebnis des kleinen Jungen Josef war der Blick in das wächserne Gesicht der verstorbenen Großmutter. Hier beginnt die Todesfaszination, Nachmittage und Abende auf dem Dorffriedhof folgten. Als junger Mann ging er, so oft es ihm möglich war, ins Kino. Er entdeckt in den Filmen, zum Beispiel von Pasolini, eine neue Welt. Als erwachsener Mann und anerkannter Schriftsteller (1979 bekam er den zweiten Preis beim Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb) fuhr Josef Winkler der katholischen Kirche zu ihren Wurzeln hinterher. Er verbrachte Monate in Rom, setzte sich mit seinem Füllfederhalter auf den Petersplatz und beschrieb, was er sah, wechselte seinen Standort, setzte sich auf den Fischmarkt und ließ sein Auge „schreiben“. Beschrieb die Passanten, die toten, zum Kauf angebotenen und auf Eisblöcken liegenden Fische, die gurrenden Tauben, den Abfall. Josef Winkler veröffentlichte eine römische Novelle „Natura morta“, die so beginnt: „Mit weißen Pfirsichen und mit einem Strauß roten Ginsters lief ein alter Mann einer gehbehinderten, auf einen U-Bahn-Eingang der Stazione Termini zuhumpelnden Frau nach ...“
Dann fährt Josef Winkler nach Indien und lässt sich dort wiederholt und für Monate nieder. In Indien gab es nur einen Ort seines Interesses: Benares, Stadt am Ganges, Hauptstadt des Todes. Wochenlang beobachtete er die Rituale der Totenverbrennung und schrieb über seine Eindrücke das Buch „Domra“. Josef Winkler ist der Beobachter seines eigenen Lebens. Er erfindet nichts. Er sieht und beschreibt den Ausschnitt aus der Wirklichkeit, der von Ritualen bestimmt ist und der ihn fasziniert. Sein Bildervorrat ist von den Riten der katholischen Kirche geprägt, sein Auge sucht nach dem Ritus in anderen Kulturen. Josef Winkler spricht nicht von der Theologie, er beschreibt das Äußerliche, die Inszenierungen, damit der unsichtbare Glaube sichtbar wird.
Josef Winkler ist der radikale Protokollant seiner eigenen Bilder-Biografie. Was er sieht, nicht was er erlebt, verwandelt er in Literatur. Josef Winkler schreibt, als würde er eine Kamera bedienen, eine Kamera, die mehr sieht, als er es selbst für möglich hält. Ein kaltes Auge, das kein Pardon kennt und jede Rücksicht der eigenen Person ablehnt.
Verena Auffermann

Freitag, 29. August, 20.30 Uhr, Markgrafentheater