
Autorenporträt: Marlene Streeruwitz
Lesung und Gespräch mit Ina Hartwig
Marlene Streeruwitz, die in Baden bei Wien geborene Schriftstellerin, gehört zu den wichtigsten Stimmen der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Und sie ist – neben Elfriede Jelinek – eine der einflussreichsten Feministinnen im Literaturbetrieb. Obwohl Streeruwitz eminent politisch ist, „eine gnadenlose Beobachterin unserer Gesellschaft“ (Die Welt) – im Jahr 2003 lehnte sie den Badener Kulturpreis ab, weil sie ihn nicht aus den Händen der damaligen österreichischen Außenministerin Benita Ferrero-Waldner entgegennehmen wollte – liegt ihr nichts ferner, als einen anklagenden Zeigefinger zu erheben und belehrende Botschaften zu verkünden. Streeruwitz interessiert vielmehr die Frage, „wie Kunst Erkenntnis sein kann“, wie Inhalt durch dezidiert literarische Mittel in Form überführt wird. „Kreuzungen.“ (also „Kreuzungen Punkt“) lautet der Titel ihres neuen Romans. Und er ist eingeschlagen in einen silbernen Umschlag, in dem sich der Leser spiegelt.
Die Karriere der Autorin Marlene Streeruwitz begann am Theater. Nach einigen Regiearbeiten schlug ihr erstes Stück 1992 wie eine Bombe in der Theaterlandschaft ein. Schon „Waikiki Beach“, am Schauspiel Köln uraufgeführt, weist viele für Streeruwitz typische Merkmale auf. Theater wird bei ihr in seiner ganzen Künstlichkeit inszeniert. Identifikation wird vermieden und durch formale Mittel gebrochen. „Inhaltsangaben sind unmöglich“ attestiert Streeruwitz ihren Stücken. Sie unterläuft den Handlungsvordergrund mit sprachlichen Elementen. Das Stakkato zum Beispiel, das sich sowohl in ihrer Dramatik als auch später in ihrer Prosa wiederfindet: kurze, oft grammatikalisch unvollständige Sätze, unvermittelt durch Punkte unterbrochen.
In ihren 1996 abgehaltenen Tübinger Poetikvorlesungen „Sein. Und Schein. Und Erscheinen.“ resümiert sie: „Der vollständige Satz ist eine Lüge. Im Entfremdeten kann nur Zerbrochenes der Versuch eines Ausdrucks sein. Im Stakkato des Gestammels. In den Pausen zwischen den Wortgruppen ist das Suchen zu finden. Nach sich. Nach Ausdruck.“
Neben „Waikiki Beach“ schafften eine ganze Reihe weiterer Stücke von Marlene Streeruwitz innerhalb kürzester Zeit den Sprung auf die renommiertesten Bühnen.
Als Erzählerin debütierte Marlene Streeruwitz 1996 mit dem Roman „Verführungen. 3. Folge. Frauenjahre“. „Mit einer stillen, nie auftrumpfenden Insistenz“ (Süddeutsche Zeitung) erzählt sie darin die Geschichte einer von ihrem Mann verlassenen Frau, „weit über jeden Küche-Kinder-Kummer-Realismus erhaben“. Ihr nächster Roman „Lisa’s Liebe.“ erscheint in drei Hochglanzheften in einem Plastikschuber und spielt mit falschem Apostroph auf die Ästhetik des Groschenromans an. Mit großem Beifall bedachte das Feuilleton auch ihre beiden nächsten Veröffentlichungen, den Roman „Nachwelt.“ über die Tochter von Alma Mahler-Werfel und die Erzählung „Majakowskiring.“, die im Gartenhaus der einstigen Villa Otto Grotewohl in Ost-Berlin spielt. Im Chicago des Jahres 2000 ist hingegen Streeruwitz’ 2002 erschienener Roman „Partygirl.“ angesiedelt. Mit „erstaunlicher sprachlicher Originalität“ (Süddeutsche Zeitung) beschreibt sie darin die Geschichte der Geschwister Ascher und das Ende des alten Europa. Danach folgten der Roman „Jessica, 30.“, die Novelle „morire in levitate.“, der Roman „Entfernung.“ und die Erzählung „Der Abend nach dem Begräbnis der besten Freundin.“. Marlene Streeruwitz beleuchtet in dieser hochkonzentrierten, bezwingenden Suada ein Stück Leben, wie es viele gibt, nur: „So dicht, so rasant, so spannend wie Marlene Streeruwitz erzählt sonst keine.“ (Süddeutsche Zeitung)
Drei Wochen nach der Wahl von Nicolas Sarkozy zum französischen Präsidenten begann Marlene Streeruwitz mit ihrem neuen Roman „Kreuzungen.“, in dem sie mit literarischen Mitteln einem Männertypus auf den Grund geht, für den Macht und Geld nicht mehr Mittel oder Statussymbole sind, sondern sexuelle, seelische und ästhetische Komponenten ihrer selbst.
Im Mittelpunkt des Romans steht folgerichtig diesmal ein Mann: Max. Der Leser lernt ihn in einem asiatischen Bordell kennen: „Sie mussten ihm den Rücken zukehren. Er hatte es gerne, diese kleinen Rücken arbeiten zu sehen. Er wollte nur noch sehen, wie sie auf- und abpumpen. Mit ihren Kinderkörperchen.“ Von dieser Szene ausgehend entfaltet Streeruwitz die Lebensgeschichte ihres „Helden“, der sich aufmacht, zu den Allerreichsten der Welt zu gehören. Dazu beendet er das bisherige Leben, aus dem sein Reichtum hervorgegangen ist. Er verlässt Wien und seine Frau, die Kinder und sogar seine Therapeutin. Eine Schönheitsoperation eröffnet sein neues Leben.
„Marlene Streeruwitz ist erbarmungslos, mit sich und mit uns. Wer’s gemütlich will, hat die falschen Bücher in der Hand.“ (Verena Auffermann) Sie setzt ihren eingeschlagenen Weg konsequent fort und „bewegt sich gleichermaßen virtuos auf der Ebene der Ideologie- und der Sprachkritik“ (Neue Zürcher Zeitung). Dabei ist es „durchaus nicht so, dass das ‚Böse’ an den Männern hängen bleibt“. Man mag Max aus „Kreuzungen.“ als pathologischen Fall abtun, „doch Marlene Streeruwitz’ Vision der unberührbaren Kaste bleibt düster: die Macher als Getriebene, mit einer Haltung, in der sich Herrenmenschentum mit Unterwerfung, Härte mit Infantilität, Kontrollmanie mit Sentimentalität paaren“. Damit macht es sich Marlene Streeruwitz nicht leicht. Und ihren Lesern auch nicht.
Donnerstag, 28. August, 20.00 Uhr, Markgrafentheater
|