Das aktuelle Podium: Terror und Traum. Vom Erbe des Stalinismus
Karl Schlögel im Gespräch mit Wilfried F. Schoeller
Der Osteuropa-Experte Karl Schlögel, der an der Viadrina in Frankfurt/Oder lehrt, legt in diesem Herbst ein Mammutbuch vor: siebenhundert Seiten mit der Jahreszahl „1937“ und der Ortsangabe „Moskau“ im Untertitel. Er widmet sich dem Datum, das den Höhepunkt des stalinistischen Terrors bezeichnet: Innerhalb dieses Jahres fallen ihm anderthalb Millionen Menschen zum Opfer. Der große Lenker der Völker lässt die vormalige Elite der Kommunistischen Partei, seine früheren Weg- und Kampfgefährten umbringen, unzählige Häftlinge sterben als Sklaven seines Industrialisierungsprogramms im Gulag, krepieren wegen Hunger, Erschöpfung und Krankheiten oder werden als nutzlose Kreaturen liquidiert. Der Terror soll dem Aufbau dienen, aus dem Blut der Ermordeten soll die neue Gesellschaft erstehen. Das Massenopfer, das der Diktator darbringen lässt, diese Verquickung von Blutdunst, Menschenverachtung, Terror und Selbstfeier, ist der wahnhafte Götzendienst im Namen einer Utopie. Aber damit ist nur eine Seite erzählt. Die andere zeigt den Traum im Schlagschatten des Mordens: die Selbstinszenierung der Macht in gigantischen Bauplänen für Moskau, im stalinistischen Modernismus der Architektur, der Stadtgestaltung und der Kunst. In seinem Buch „Terror und Traum“ erzählt Karl Schlögel, minutiös dem Kalender der Ereignisse folgend, von Terror und Traum als einer Einheit, von einer ungemein verdichteten Zeit, die wie ein eigener Raum vergegenwärtigt wird. Darüber und über das unbewältigte Erbe des Stalinismus spricht Karl Schlögel in Erlangen.
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