Raphael Urweider

Woher nimmt dieser Mann nur seine poetische Heiterkeit? Dabei müsste der Ballast des Ruhms den vielbegabten Berner Lyriker, Rapper, Musiker und Theater-Leiter Raphael Urweider doch allmählich ins melancholische Grübeln bringen. Seit den denkwürdigen Märztagen des Jahres 1999, da der 1974 geborene Pfarrerssohn als völlig Unbekannter aus seinem helvetischen Winkel ins hessische Darmstadt kam und dort beim Leonce-und-Lena-Wettbewerb gleich obsiegte, durcheilte Urweider in rasantem Erfolgstempo den Weg zum lyrischen Jungstar. Es hat nicht viel gefehlt und Urweider wäre im September 2007 auch noch zum alternativen Schweizer Kulturminister gekürt worden.
Die Bürde des ministeriellen Amtes blieb Urweider erspart. Und wir dürfen uns bis auf weiteres an seinen Gedichten erfreuen. Sein neuestes Opus präsentiert „Gedichte von der Liebe und der Liederlichkeit“, die sehr sorglos, übermütig und demonstrativ ironisch daherkommen – und uns fast wie nebenbei ein „Alphabet der Liebe“ bescheren. In seinen ersten Gedichtbänden („Lichter in Menlo Park“, 2000 und „Das Gegenteil von Fleisch“, 2003) hatte Urweider seinen Helden noch jede romantisierende Verschmelzungssehnsucht ausgetrieben und die Möglichkeiten poetischer Welterkenntnis in raffinierten Wahrnehmungsgedichten ausgelotet. Dabei ging es in diesen Gedichtbüchern fast ausschließlich um naturwissenschaftliche Denkwürdigkeiten: um Kontinente, Windgeschwindigkeiten, Wolkenbildung, Teilchenbeschleunigung, physikalische Zustände des Wassers, Veränderungen des Lichts.
In seinem neuesten Werk begibt er sich nun auf die Spuren eines Don Juan, der einst eine Liste mit über 1000 Geliebten anfertigen ließ. Urweider findet seine Geliebte in den Verschlingungen des Alphabets. Seinen Liebes-„Reigen“ hat er sprach-systematisch von A bis Z durchbuchstabiert, ausgehend von 26 literaturhistorisch traditionsschweren Namen imaginärer oder realer Angebeteter. Urweider ist ein sehr versierter Sprachspieler, der seine Liebesgeschichten aus der subtilen Komposition mit Mehrdeutigkeiten und Gleichklängen gewinnt.
Um sich von den metaphorischen Standards der traditionellen Liebespoesie zu lösen, betreibt Urweider die ironische Aushebelung der Liebes-Affekte.
Den kalkuliert-naiven Anrufungen von Antonia bis Yolanda und Zoe hat Urweider in seinem aktuellen Gedichtband „Alle deine Namen“ mit ironischem Augenzwinkern einen Zyklus über die Vorzüge diverser Spirituosen zur Seite gestellt. Was wie klassische Gelegenheitsdichtung für den Geselligkeitsbedarf aussieht, entpuppt sich als sehr raue Körperpoesie über den Exzess.
„Das Gegenteil der Eleganz ist das Offensichtliche“, sagt Raphael Urweider – selbst seine einfach daherkommenden Liebesgedichte haben das Offensichtliche eindrucksvoll torpediert. (M. B.)
Auszeichnungen u. a.: Leonce-und-Lena-Preis (1999), Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, 3sat-Preis des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs, New-York-Stipendium des deutschen Literaturfonds (2002), Clemens-Brentano-Preis (2004).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Guten Tag Herr Gutenberg“, Gedichte, Ed. Thanhäuser, Ottensheim 1999
– „Lichter in Menlo Park“, Gedichte, DuMont, Köln 2000
– „Kobold und der Kunstpfeifer. Fast eine Räubergeschichte“, Ed. Thanhäuser, Ottensheim 2002
– „Das Gegenteil von Fleisch“, Gedichte, DuMont, Köln 2003
– „Alle deine Namen. Gedichte von der Liebe und der Liederlichkeit“, DuMont, Köln 2008


Sonntag, 31.8., 17 Uhr, Schlossgarten