Uwe Kolbe „So erschreckend viele junge Leute träumen auf epigonale Weise von einem Schreiben des Neuen und Ihren; der da schreibt’s.“ Mit großem Enthusiasmus begrüßte der DDR-Schriftsteller Franz Fühmann (1922–1984) dereinst die Gedichte eines jungen Mannes aus Ost-Berlin, der den Schwung der expressionistischen Generation in seine Gedichte aufnahm und in das Existenzgefühl eines DDR-Bürgers Ende der 1970er-Jahre übersetzte: Der 1957 geborene Uwe Kolbe erschien Fühmann als ein „Hans im Glück, der da den Goldklumpen schleppt“. Es fiel den SED-Kulturpolitikern damals sehr schwer, die Gedichte des „jungen Wilden“ Uwe Kolbe zu akzeptieren, der vom Hineingeboren-Sein in eine Welt sprach, die durch ihre Enge und ihre „Stacheldrahtlandschaft“ geprägt war. Bald nach dem Erscheinen von „Hineingeboren“ verhängten sie über Kolbe, der ein „Sonderstudium“ am Literaturinstitut „Johannes R. Becher“ absolviert hatte, ein nicht-offizielles Publikationsverbot. Kolbe gründete daraufhin eine unabhängige Literaturzeitschrift („Mikado“), ließ sich aus seinem Gedichtband „Bornholm II“ ein Dutzend Gedichte hinauszensieren, brach dann aber 1986 mit einem Dauervisum in die Neue Welt auf.Seither ist Uwe Kolbe ein Dichter des Unterwegsseins: Er topografiert seine Heimatgefühle, ohne sich seines Existenzrechts an den besungenen Sehnsuchtsorten je gewiss zu sein. Seine Phantasien des Nomadisierens trieben bereits den jungen Kolbe durch den „Vaterlandkanal“ der frühen DDR-Jahre hindurch, vorbei an prekären Grenzübergängen wie „Bornholm II“ und hinweg von den Zumutungen der DDR-Literaturpolitik. Seine neuen Gedichte, die in diesem Frühjahr erschienen, schlagen nun einen großen Bogen von west- zu osteuropäischen Fixpunkten, an denen ein irisierendes Licht „aus den Träumen in den Tag herüberscheint“. Es ist ein unverhohlen romantisches Glücksversprechen, das in diesen Gedichten aufblitzt, in lyrischen Reminiszenzen an Städte und Landschaften, in denen der Dichter einige unbedrängte Tage oder Wochen verweilen durfte. In seinem neuen Gedichtbuch, das seinen Titel aus der IV. Römischen Elegie Goethes gewinnt, folgt Kolbe nun den Suggestionen neuer Wahlheimaten. Die unendliche Fahrt ins Offene beginnt mit dem Zyklus „Sailor’s Home“, in dem der romantische Vagabund als Getriebener gezeigt wird, der nur aus der Distanz seine ferne Geliebte besingen kann. Dieser Zyklus gibt die Tonart des ganzen Bandes vor: Ein Sänger, assoziativ verbunden mit den Figurationen des Orpheus-Mythos, singt ebenso zarte wie brüchige Liebeslieder „vom Rand der Katastrophen“. Dann schweift sein Blick über die milden Hügel „in Pfalzen“, und wendet sich schließlich nach Osten, wo wie eine Wiedergängerin versunkener Geschichte „die Königin von Plowdiw“ in fast mythischem Glanz auftritt. In seinen intensivsten Gedichten bricht Kolbe die Volksliedtöne Heinrich Heines mit seinem ureigenen „trostvoll leichten Jargon“. So entstehen berückende Texte, in denen die Heine’schen Sehnsuchtsmelodien mit tristen postindustriellen Wirklichkeiten und ernüchternden Gegengesängen zusammentreffen. (M. B.) Auszeichnungen u. a.: Förderpreis Literatur zum Kunstpreis Berlin/West, Förderpreis zum Friedrich Hölderlin-Preis (1987), Stipendium des Deutschen Literaturfonds, Nicolas-Born-Preis (1988), Villa Massimo-Stipendium (1991), Berliner Literaturpreis (1992), Stipendium des Deutschen Literaturfonds, Friedrich Hölderlin-Preis (1993), Stadtschreiber Stade (2004), Stadtschreiber zu Rheinsberg (2005), Preis der deutschen Literaturhäuser (2006). Veröffentlichungen (Auswahl): – „Hineingeboren. Gedichte 1975–1979“, Aufbau, Berlin 1980 – „Abschiede. Und andere Liebesgedichte“, Aufbau, Berlin 1981 – „Bornholm II“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1987 – „Vaterlandkanal. Ein Fahrtenbuch“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990 – „Die Situation“, Essay, Wallstein, Göttingen 1994 – „Nicht wirklich platonisch. Gedichte“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1994 – „Renegatentermine. 30 Versuche, die eigene Erfahrung zu behaupten“, Aufsätze, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1997 – „Vineta“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1998 – „Die Farben des Wassers“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2001 – „Der Tote von Belintasch“, Kriminalgeschichte, Wunderhorn, Heidelberg 2002 – „Thrakische Spiele“, Roman, Nymphenburger Verlag, München 2005, TB dtv, München 2007 – „Diese Frau. Liebesgedichte“, Insel, Frankfurt a. M. 2007 – „Heimliche Feste“, Gedichte, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2008 Samstag, 30.8., 14 Uhr, Schlossgarten |
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