Porträt International: Georges-Arthur Goldschmidt
Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung
Lesung und Gespräch mit Wilfried F. Schoeller

Quand Freud voit la mer – Als Freud das Meer sah

Eine Kindheit der Verlassenheit und Lebensgefahr, der Züchtigungsrituale, des Erwachens von Sexualität – so lassen sich die erzählenden Bücher von Georges-Arthur Goldschmidt charakterisieren. Es ist sein eigener Fall, den er beschrieb: die Geschichte eines zehnjährigen jüdischen Jungen aus Hamburg, der weg muss aus der großbürgerlichen Atmosphäre, dem geliebten Garten; eines Waisenkinds, das in einem französischen Internat aufbewahrt und drangsaliert, vor den Nazis gerettet, körperlich gepeinigt, sexuell missbraucht wird. In mehreren Büchern hat Goldschmidt von diesen Zerreißproben erzählt, mit obsessivem Erinnerungswillen.
Georges-Arthur Goldschmidt begnügt sich jedoch nicht, sein Geschick als ein symptomatisches aufzudecken. Ihn charakterisiert der Wunsch, die Erkundung des jugendlichen Ichs als Akt der Entblößung in einen Kontext zu stellen. Mit einem Begleitchor aus Stimmen von Rousseau bis Lacan erweitert er diese Suche nach der symbolischen Existenz des gedemütigten Ichs ins Philosophische.
Der Essay „Der bestrafte Narziß“ verstand sich als Exerzitium über die Verfehlungen der Pädagogen, die widersprüchliche Natur des Strafens, den Lustrausch der Unterwerfung. Goldschmidt gab den Opfern einen eigenwilligen Wert des Ich-Bewusstseins zurück. Das erinnerte an die im Leiden verzückten Märtyrer der Altarbilder. Ein Akt stolzer Willkür: dass sich einer, der vor allem ein Geschundener war, in die alten Geschichten von der Selbsterhöhung der Dulder hineingeschrieben hat.
Zu seinem eigenen Schreiben kam Goldschmidt durch das Übersetzen. Schriftsteller- und Übersetzertätigkeit gehen für ihn Hand in Hand. Zu den von ihm übersetzten Autoren gehören u.a. Pierre Herbart, Franz Kafka, Friedrich Nietzsche, Adalbert Stifter und Peter Handke, der zugleich einige Werke Goldschmidts ins Deutsche übersetzt hat.
Goldschmidt unterscheidet zwischen seiner Muttersprache Deutsch und seiner Lebenssprache Französisch. Er schreibt in beiden Sprachen und übersetzt gelegentlich sich selbst. Am Beispiel der Psychoanalyse („Freud und die deutsche Sprache“) erhellt Goldschmidt die unterschiedlichen Sprachwelten des Deutschen und des Französischen und die Paradoxien der Übersetzung. Durch den stetigen Wechsel von Außen- und Innensicht – vor dem Hintergrund der Übersetzung – gelangt er zu überraschenden Einsichten über das Wesen der deutschen Sprache. Mit Distanz und Präzision legt er dar, wie sich ein Text durch die Übersetzung in eine andere Sprache verändert und doch derselbe bleibt. Die sinn- und lustvollste Arbeit: „zu sehen, wie im Inneren der Sprache widerhallt, was sie zum Sprechen bringt“. Eine Übersetzung ist für den Autor-Übersetzer Goldschmidt dann gelungen, wenn sie umkehrbar (rückübertragbar) ist.
Andererseits betont Goldschmidt aber: „Würde eine Übersetzung perfekt gelingen, so gäbe es nur noch eine Sprache auf der Welt, aus der man nicht mehr herauskommt, und wir wären keine Menschen mehr. Das wäre das Ende der Welt.“
Im Rahmen seines Porträts beim 27. Erlanger Poetenfest erhält Georges-Arthur Goldschmidt den „Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung“ der Kulturstiftung Erlangen.
In der Begründung der Jury heißt es: „Der französisch-deutsche Autor und Übersetzer Georges-Arthur Goldschmidt erhält den ‚Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung’ für sein übersetzerisches Gesamtwerk und seine theoretischen Arbeiten über ‚Freud und die deutsche Sprache’. Goldschmidt geht der Sprache auf den Grund. Anschaulich beschreibt er die Zwischenräume, in denen eine Sprache sich dem Zugriff der anderen verweigert. Die Übersetzung wird für Goldschmidt zum Mittel gegen Macht und Gewalt. Goldschmidt lebt in zwei Sprachen. Indem er die Übergänge hörbar macht, bekräftigt er die Unmittelbarkeit des Erlebten, das zwischen den Sprachen liegt und doch nur im Medium der Sprache wirklich ist.“
In seiner Dankesrede zum Börne-Preis sprach Goldschmidt „Vom Überleben und danach“, erinnerte an das Personal, das es ihm ermöglichte: „eine Internatsleiterin, ein Gendarm, ein katholischer Priester und zwei Bauern aus den französischen Alpen“. Er redete vom Öffnen der Augen durch die ständige Lebensfurcht: „Man weiß von diesem Augenblick an, dass man der Sprache nicht trauen kann, da doch mittels ihrer entschieden wird, dass es einen nicht geben durfte, und doch hörte man in der anderen Sprache die Worte des Widerstands und der Rettung.“
Wilfried F. Schoeller / Adrian La Salvia

Donnerstag, 23. August, 20 Uhr, Markgrafentheater