Den Koran übersetzen – aber wie?
Podiumsdiskussion mit Hartmut Bobzin, Navid Kermani, Michael Marx und Stefan Weidner, Moderation: Claudia Ott

Der Koran ist als „Hör-Buch“ zum mündlichen Vortrag bestimmt. Die ästhetische Erfahrung des Korans, die von Muslimen als tiefe seelische Erschütterung geschildert wird, erschließt sich dem nicht arabischsprachigen Leser nur unzureichend. Der Koran gilt in der traditionellen islamischen Theologie als unübersetzbar, da Gott seine Rede in der Volkssprache, „auf gut Arabisch“, herabgesandt habe. Muslime sprechen deshalb von der „Unnachahmlichkeit“ des Korans. Eine Übersetzung könne nur die verschiedenen Wortbedeutungen erklären, die Schönheit der koranischen Sprache aber – die doch das eigentliche Wunder sei, das die Offenbarung ästhetisch beglaubigt – sei schlechterdings unübersetzbar. Dessen ungeachtet entstanden seit dem Mittelalter Koran-Übersetzungen. Die erste deutsche Übersetzung von Salomon Schweigger (Nürnberg 1616) folgt „aus zweiter Hand“ einer italienischen und diese wiederum einer stark nacherzählenden lateinischen Vorlage. Die erste Übersetzung in eine europäische Volkssprache, die direkt auf den arabischen Text zurückgeht, ist die französische Übersetzung von André du Ryer (1647). Koran-Übersetzungen wurden lange Zeit ausschließlich von Nicht-Muslimen angefertigt, um die Widersprüche zur Bibel zu erklären und den Koran als „Lügenbuch“ zu entlarven. Anerkennung in der muslimischen Welt fand die Übersetzung des Erlanger Orientalisten Friedrich Rückert, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts weite Teile des Korans in gebundene Sprache übertrug. Rückerts Übersetzung ist für ihre poetische Schönheit berühmt, die so viel wie möglich vom Klang des koranischen Arabisch zu bewahren versucht. Als Mangel wird empfunden, dass Rückert nach eigenem Ermessen Textstellen ausgelassen hat, so dass auf der Grundlage seiner Übersetzung kein vollständiges Bild des Korans gewonnen werden kann.
Ein Mangel fast aller Koran-Übersetzungen ist die fehlende systematische Berücksichtigung der Lesarten. Der Übersetzer steht vor der schwierigen Aufgabe, den ursprünglich intendierten Sinn durch Heranziehung klassischer Koran-Kommentare möglichst umfassend zu erschließen. Die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften hat sich deshalb mit dem Doppelprojekt „Corpus Coranicum“ die genaue Erschließung der Quellen und Kommentierung des Korans zur Aufgabe gemacht. Michael Marx stellt das Projekt in Erlangen vor. Hartmut Bobzin hat Rückerts Koran-Übersetzung, „ein sprachliches Riesenwerk“ (Navid Kermani), 1995 neu herausgegeben. Gegenwärtig arbeitet er an einer eigenen Übersetzung. Auszüge veröffentlichte er in seinem „Koran-Lesebuch“ (2005). Navid Kermani untersucht in seiner Arbeit „Gott ist schön“ (2000) das ästhetische Erleben des Korans in der islamischen Rezeption, die Beziehung von Kunst und Verkündigung und den ästhetischen Gottesbeweis. Was den Koran einzigartig macht, ist seine Fähigkeit, den Hörer durch Schönheit zu überwältigen. Stefan Weidner ist Autor, Übersetzer und Chefredakteur der Zeitschrift „Fikrun wa Fann / Art & Thought“, die vom Goethe-Institut für den Dialog mit der islamischen Welt herausgegeben wird. Sein erzählter Essay „Mohammedanische Versuchungen“ (2004) ist eine weltanschauliche Auseinandersetzung mit dem Islam. Das Gespräch moderiert die Autorin und Übersetzerin Claudia Ott.
Adrian La Salvia

Freitag, 24. August, 18.30 Uhr, Markgrafentheater Oberes Foyer