Autorenporträt: Arnold Stadler
Lesung und Gespräch mit Verena Auffermann

Was ist lieben? Ist es ein Tuwort?

Arnold Stadler, der Büchner-Preisträger des Jahres 1999, ist ein Taugenichts, der durch die Welt zwitschert, um sie zu verstehen und von ihr missverstanden zu werden. Stadlers Ich-Sager startet in fast all seinen Büchern aus der Beschränktheit des Dorfes in die Beschränktheit der Welt.
Stadlers Ei des Kolumbus ist das Selbst. Dieses Selbst sieht sich als tragisch komischen Außenseiter, als Person, die sich wundert und deshalb viel mehr als die anderen erfährt. Der 53-jährige Arnold Stadler schreibt ergreifend einfach. Seine Absage an modische Storytendenzen ist unumstößlich. In keinem seiner Bücher steckt ein amerikanischer Drive, nirgends tönt ein affirmatives „hey“ oder „okay“. Stadler, der südbadische Bauernsohn, verehrt große einheimische Denker und die Langsamkeit, die das Denken nun mal bedingt. Die topografische Nähe seines eigenen Elternhauses zu Meßkirch und zu Kreeheinstetten, Geburtsorte Stadlers, Heideggers und des wortgewaltigen und deftigen Predigers Abraham a Sancta Clara, hat auf seinen Geist eingewirkt. Philosophie, Theologie und eigene Kenntnisse der Landwirtschaft sind Teil von Stadlers üppiger Aussteuer. Die Tiefe des Denkens und Glaubens wird vom Witz abgefedert und aufgefangen. Arnold Stadler und der Witz! Gewitzt stimmt auch, aber Witz ist klarer. Sein gesamtes Werk ist bestimmt von der Lust und dem Leiden am Unzeitgemäßen, weil seine Zentral- und Lieblingsfigur der Verlierer ist. Arnold Stadlers Romane sind nicht jedermanns Sache. Sie handeln auf unterschiedliche Weise davon, wie man sich an Glanz und Gloria vorbei durchs Leben manövriert.
Der Erzähler seines neuen Romans „Komm, gehen wir“, der eindeutige Ähnlichkeiten mit dem Erzähler aus vorangegangenen Stadler-Büchern hat, ist raffiniert und anspielungsreich. Federleicht springt der Erzähler durch die Zeit und die Erzählperspektiven und dirigiert die Auf- und Abtritte seines Personals.
Arnold Stadler hat ein Buch über die Liebe geschrieben, wie er noch nie über die Liebe geschrieben hat. Niemand kann die Liebe neu erfinden, aber jeder fragt sich , was das eigentlich ist. Also hat Arnold Stadler ein Buch der Fragen: „Was ist lieben? Ist es ein Tuwort?“ und ein Buch der Antworten geschrieben: „Das war die Liebe: das Warten auf die Liebe.“ Es ist ein trauriges Buch über eine versuchte Liebe zwischen Mann und Frau und Mann und Mann. Schöne Bücher sind fast immer traurig.
Die verzwickte Beziehungsgeschichte beginnt wie ein Film. Ein Augusttag auf Capri im Jahr 1978. Auf einem Badetuch sitzt ein deutsches Pärchen und genießt die von „O sole mio“ vibrierende Luft. Ein Fremder bittet um einen Schluck Wasser und rückt mit seinem Badetuch näher. Mit einer Leichtigkeit, die Capri und dem Meer gerecht wird, blendet der Autor voll in die Sonne des Anfangs eine Liaison à trois.
Wer wissen möchte, wen und was Stadler schätzt, kann in der Sammlung „Tohuwabohu“ seine Lieblingstexte aus Bibel, Lyrik und vom Schwarzseher E. M. Cioran nachlesen. Cioran erkannte „Glück“ darin, „die Hölle in uns selbst entdeckt zu haben“. Diese dunkle Wanderung mutet Stadler seiner von Frau und Sohn und Freund verlassenen Hauptfigur zu. Im Zentrum von „Komm, gehen wir“ probieren drei Personen drei Arten zu lieben und drei Arten der Flucht. Rosemarie und Roland, die sich auch Romy und Rolly nennen, möchten braun werden, das Meer sehen und „sonst gar nichts“. „Komm, gehen wir“, haben sie sich gesagt, „und sie gingen.“ Roland und Rosemarie wollen heiraten, „müssen“ aber nicht! Es ist ein langer Weg von Capri über Rom, den Petersplatz, Papsttod und Papstwahl zurück nach Freiburg. Im Schlusskapitel des Romans sind seit jenem sehnsüchtigen italienischen August elf Jahre vergangen. Roland fliegt nach Miami zu Jim. Der Autor straft sich nicht mit einem Happyend, sondern gibt eine weitere „kleine Antwort“ auf die große Frage: War es Liebe? „Es war“, erkennt Roland, „die Illusion des Glücks“. Arnold Stadler ist der Autor der Anzüglichkeit, der lustigen und biestigen Verweise, des Schalks, und nur er selbst weiß, wie viel Zitate in das Buch eingegangen sind. „Komm, gehen wir“ ist ein Roman über die Unmöglichkeit zu lieben, er enthält mindestens dreißig herrliche einfache Kernsätze über die Kompliziertheit der Liebe, über die Sehnsucht nach der Liebe und das Begehren eines Schwulen. „Linkshänder im Kopf“ heißt das im Roman, der zeigt, dass der Mensch die Tendenz hat, die besten Tage des Lebens zu übersehen, weil er denkt, dass noch bessere kommen. Oder weil er, was noch wahrscheinlicher ist, nicht unterscheiden kann, was Liebe ist, und was nicht!
„Laufstall-Leben“ – auch so ein passendes Stadler-Wort.
Verena Auffermann

Samstag, 25. August, 20.30 Uhr, Markgrafentheater