Das aktuelle Podium: Belesen sein, ohne zu lesen? Eine notwendige Debatte über Folgen der Event-Kultur
Podiumsdiskussion mit Klaus Bittner, Friedrich Dieckmann, Axel Hundsdörfer, Sigrid Löffler und Wilfried F. Schoeller, Moderation: Hajo Steinert

Zunehmende Bücherflut, boomende Literatursendungen, nachgefragte Bücher-Websites – gleichzeitig wird immer weniger gelesen. Bestseller- oder Kanonlisten allein schaffen es nicht mehr. Mit einer einfachen Lesung im Buchladen geben sich die Veranstaltungsstrategen in den Verlagen nicht mehr zufrieden. Das große Publikum muss her. Ein Literaturfestival nach dem anderen wird aus dem Boden gestampft. Der Erfolg wird nach der Anzahl der Besucher bemessen, nicht nach der Qualität der dargebotenen Texte und der Gespräche nach der Lesung. Hauptsache der Verkauf geht gut, egal, ob das Buch gelesen wird oder nicht. Selbst Reich-Ranicki gibt sich im Interview zu seinem Kanon pragmatisch: „Es ist mir schon lieber, jemand kauft den Kanon und liest die einzelnen Bücher nicht, als dass er ihn überhaupt nicht erwirbt.“
Die Event-Kultur ist scheinbar nicht mehr aufzuhalten. Wer über Literatur mitreden kann, verspricht sich davon eine Steigerung seines Ansehens. Man geht zu Lesungen, hört eine halbe Stunde zu und tut am Tag darauf im Büro so, als hätte man das ganze Buch gelesen. Man füttert sein literarisches Wissen mit regelmäßiger Feuilleton-Lektüre, sieht „Lesen“ oder „Druckfrisch“ und reproduziert die Meinungen der Fernsehkritiker. Belesen sein, ohne selbst viel lesen zu müssen, ist scheinbar ein dringendes Bedürfnis der Halbwissen-Gesellschaft.
Ein anderer Aspekt: Die Harry Potter-Hysterie. Ist der Rummel nach Maßgaben literarischer Vernunft wirklich berechtigt oder nur das Ergebnis einer aggressiven Werbekampagne? Nichts als eine Panikblüte des Buchmarkts in der tiefen Krise? Zur Selbstermunterung der Lesepädagogen wird der Harry Potter-Wahn als Zeichen einer neuen Leselust der Jungen bewertet – zu Recht? Werden aus Potter-Käufern Leseratten auf Dauer? Oder ist nicht alles eine Nummer zu groß? Sind die, die es wirklich ernst meinen mit der Lektüre eines Buches, nicht längst Opfer eines Vielzuviel? Schon erscheint ein Buch mit dem Titel „Wie man über Bücher spricht, die man nicht gelesen hat“.
Hajo Steinert

Sonntag, 26. August, 19 Uhr, Markgrafentheater