In zügelloser Sprache – in subversiven Bildern.
Aus der Protestszene der DDR. Die Sammlung Gerhard Wolf

„Es läßt sich vermutlich nicht eindeutig begründen, warum zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort, kaum vorhersehbar, junge Leute in der Kunst eine andere Tonart anschlagen, weil sie anders sehen und hören, anders empfinden und denken und demzufolge anders schreiben, anders malen, anders Musik machen als andere vor ihnen, weil für sie ihr Sein anders sein muß, als das täglich hingenommene: was sein muß, muß sein.“ (Gerhard Wolf)
Eine junge Generation von Dichtern und Künstlern der DDR begann Ende der 70er-Jahre in einer anderen Sprache zu sprechen, auch im Protest gegen die verordnete Sprache der Macht. Es entstanden expressive wilde Bilder, die dem angesagten „Sozialistischen Realismus“ Hohn sprachen. Die Dichter fanden keine Verlage, die Künstler keinen Zutritt zu offiziellen Ausstellungen.
Gerhard Wolf, selbst Autor und Verleger, nahm sich als Mentor, Herausgeber und Vermittler der jungen Szene an. Er konnte eine Sammlung von Bildern, Lyrik-Grafik-Editionen und bibliophilen Künstlerbüchern anlegen, die in den 80er-Jahren abseits des reglementierten Verlags- und Kunstbetriebs der DDR entstanden. Die Städtische Galerie Erlangen zeigt diese Sammlung anlässlich des 27. Erlanger Poetenfests erstmals im Westen Deutschlands. Dabei sind u.a. Arbeiten von Manfred Butzmann, Carlfriedrich Claus, Angela Hampel, Martin Hoffmann, Ralf Kerbach, Helge Leiberg, Michael Morgner, Thomas Ranft und Cornelia Schleime. Film- und Ton-Beispiele ergänzen die Exponate.
Im Fokus steht damit eine Zeit, in der sich in Ost-Berlin, Dresden und anderen Orten des Landes eine vielfältige, subkulturelle Literatur- und Kunstszene entfaltete. Junge Autoren, Maler, Musiker und Fotografen fanden sich damals zu gemeinsamer kreativer Produktion in wechselnden Konstellationen zusammen. In ihren Arbeiten artikulierte sich eine Haltung gegen die missbrauchte und bevormundete Sprache, gegen die ideologische Determination der Gesellschaft, gegen sozialnormierte Lebens- und Arbeitsformen. Für die Mächtigen des Regimes eine Provokation, die das Interesse der Staatssicherheit aktivierte. Die eigene Herstellung von Publikationen ermöglichte es den Autoren – die meisten in den 50er-Jahren geboren – ihre bisher unbekannten Arbeiten unzensiert zu veröffentlichen. Die vielfach von Hand produzierten Bücher, spielerische Mappenwerke und Zeitschriften mit teilweise eingelegten originalen Fotos und Grafiken, erschienen nur in Kleinstauflagen. In ihnen lassen sich Werke von Dichtern wie u.a. Stefan Döring, Durs Grünbein, Gino Hahnemann, Johannes Jansen, Jan Faktor, Uwe Kolbe, Andreas Koziol, Frank Lanzendörfer, Gert Neumann, Bert Papenfuß, Gabriele Stötzer und Ulrich Zieger entdecken. Diesen eigenwilligen Unangepassten offiziell Gehör zu verschaffen, gelang erstmals Gerhard Wolf mit der Edition „Außer der Reihe“, die seit 1988 erschien. Die Autoren publizierten ihre Texte in nicht erlaubten, selbstgefertigten Zeitschriften. In den Künstlern fanden sie ebenbürtige Partner für die Produktion eigener Künstlerbücher und Grafik-Mappen von starker, sinnlicher Ausdruckskraft, selten in neuerer deutscher Kunst.
Die Bilder, die bei Gerhard und Christa Wolf zusammengefunden haben, geben nur Fragmente eines Jahrzehnts wieder. Aber sie sind und bleiben Merkmal einer Zeit, die schließlich unvermeidbar auf den Herbst 1989 zulief.
Lisa Puyplat

Sonntag, 9. September: Finissage der Ausstellung
15 Uhr Führung, 16 Uhr Film „Carlfriedrich Claus – Menschliche Existenz als Experiment“ (ca. 60 min), Einführung: Gerhard Wolf

18. August bis 9. September, Städtische Galerie Erlangen
Freitag/Samstag, 24./25. August, 10–23 Uhr, sonst: Di–Fr 10–18 Uhr, Sa/So 10–17 Uhr

 

Website:
www.staedtische-galerie-erlangen.de

E-Mail:
galerie@stadt.erlangen.de