In unseren Grenzen sind wir frei – Schreiben vor und nach der Wende
Lesungen und Gespräche mit Róža Domašcyna, Elke Erb und Michael Wüstefeld, Moderation: Holger Helbig

Der Titel der Veranstaltung ist einem Gedicht von Michael Wüstefeld entlehnt, geschrieben in den 80er-Jahren in der DDR. In der Zeile sind zwei zentrale Motive des Schreibens in der DDR zusammengeführt: das Eingesperrtsein durch die Staatsgrenze und das Sich-Selbst-Einsperren in die staatlichen Vorgaben. Wüstefelds Gedicht handelt von Selbstzensur und Selbsttäuschung, von Widerstand und Anpassung, vom Balancieren zwischen Fantasie und Verzicht. Bei Elke Erb finden sich dieselben Motive: „Ich seh mich wieder groß an meinen Grenzen“, heißt es 1977 bei ihr.
Mit der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze fielen auch jene selbst gesetzten oder stillschweigend akzeptierten Grenzen im Schreiben. Die Frage, wie man wurde was man ist, ja wer man überhaupt ist, stellte sich damit umso dringlicher. Elke Erb fasste die Kehrseite der neuen Grenzenlosigkeit in die Formel „Spaltungsirr nach der Vereinigung“: „Warum sehen mich die Leute so an, / die Hälfte schäbig, die Hälfte normal?“ Diese Verse geben auch den Blick auf die alten Texte wieder: Was bleibt von den Gedichten, die unter Voraussetzungen geschrieben wurden, die den heutigen entgegengesetzt zu sein scheinen? Wie geht man um mit der Entfernung zwischen damals und heute, beim Wiederlesen und Weiterschreiben?
Eine Frage, die sich auch für Róža Domašcyna stellt. Von 1985 bis 1989 studierte sie am Literaturinstitut in Leipzig, als es noch nach Johannes R. Becher, dem ersten Kulturminister der DDR, hieß. Veröffentlicht hat sie erst, als es die DDR nicht mehr gab. Der Versuch, das Institut nach der Wende aufzulösen, führte zu einer Diskussion über Politik und Gedichte: Hat das Studium am Leipziger Institut dazu geführt, die Grenzen im Schreiben zu erweitern?
Elke Erb, Róža Domašcyna und Michael Wüstefeld lesen neue (und unveröffentlichte) Gedichte und sprechen über diese und andere Fragen.
Holger Helbig

Samstag, 25. August, 17 Uhr, Orangerie im Schlossgarten