Autorenporträt: Martin Mosebach
Lesung und Gespräch mit Michael Maar

Das Schreiben ist für mich vor allem ein Weg, auf das Gelesene zu antworten.

Ein Sommernachtstraum in Frankfurt. So etwas gibt es also. Zumindest wenn man aus der dampfenden Main-Metropole an Marokkos luftige Atlantikküste flüchtet und von dort auf die überhitzten Menschlein zurückblickt wie Shakespeares Puck auf den Thymianwiesen. Dem Schriftsteller Martin Mosebach war es im vorigen Sommer zu heiß geworden unter den welken Kastanien des Frankfurter Holzhausenviertels. Also flog er nach Casablanca und reiste weiter ins kühlere Essaouira, um dort seinen ersten Kurzroman zu verfassen.
Mit seiner Großstadt-Phantasmagorie verneigt sich Mosebach vor seinem Lieblingsstück. „Der Mond und das Mädchen“ ist eine „Hommage an den ‚Sommernachtstraum’“. Eigentlich liebt er ja eher die epischen Abschweifungen oder er lässt die Zeit einfach stillstehen, wie sein Vorbild Heimito von Doderer. Diesmal aber hat Mosebach die Handlung vorangetrieben. Alles schwebt und schillert in diabolischer Ironie. In einem verwünschten Mietshaus begegnet man alten Bekannten: Oberon und Titania im Immobiliengeschäft, zwei verwirrten Liebespaaren und einem maghrebinischen Kobold, der seine Gespielinnen einer Voodoo-Zauberin zuführt.
Mosebach kennt sich offenbar nicht nur in der bürgerlichen Welt Frankfurts aus, der er entstammt. Als seine Familie ins Westend zog, war Mosebach fünf Jahre alt. „Seitdem habe ich mich nicht mehr viel bewegt“, schmunzelt der reiselustige Autor. Nach dem Abitur entschied er sich für ein Jura-Studium, weil ihm sein Vater von der Germanistik abgeraten hatte: Auch der Filius sollte sich seine Liebhaberhaltung zur Literatur bewahren.
Heute bereut es der Autor, dass er nur halbherzig Jura studiert hat, anstatt das Fach als sprachliche Präzisionsübung zu schätzen. Schließlich habe sogar Stendhal den Code Civil gelesen, um sich aufs Schreiben vorzubereiten. Die wilden Frankfurter Jahre hat Mosebach nur „als Zaungast“ erlebt. „Die Studentenbewegung gehört nicht zu meiner Jugenderfahrung“, erinnert er sich. „Ich befand mich nicht im Aufstand mit der Elternge-neration. Ich hatte gute Beziehungen zu Vaterfiguren.“ Schon während seiner Referendarzeit schrieb er seine ersten Erzählungen, die erst 1995 unter dem Titel „Stilleben mit wildem Tier“ erschienen. Aber ihn zog das Epische an. Er will das Chaos der Welt mittels Kunst ordnen, begreifbar machen. So entstanden seine Romane „Das Bett“ (1983), „Ruppertshain“ (1985) und „Westend“ (1992). Auch als Dramatiker versuchte er sich. Sein Versdrama „Rotkäppchen und der Wolf“ wurde 1992 im Frankfurter Schauspiel, sein Text zu Carl Maria von Webers „Oberon“ 1995 in der Frankfurter Oper aufgeführt.
Fantastische Einfälle und groteske Formen hatten ihn ja überhaupt zum Schreiben veranlasst, das realistische Erzählen kam dann erst hinzu. Dabei lehnt Mosebach stilistische Marotten ab. Er glaubt nicht, dass sich ein längerer epischer Zusammenhang mitteilen lässt, wenn sich die Form zu sehr in den Vordergrund drängt. „Mein Ideal ist, zur Unsichtbarkeit der Form zu gelangen“, sagt er.
Schreiben als asketischer Akt? „Als Exerzitium“, entgegnet der Schriftsteller. Jedenfalls verordnet sich Mosebach jeden Tag eine Mindestmenge an Text, die er dann mit der Hand niederschreibt. Als weiteres Mittel der Selbstdisziplin nutzt er die Ironie. Sie verschafft ihm den nötigen Abstand zu Figuren wie seinem Antihelden in dem Liebesroman „Die Türkin“, der 1999 erschien. Der endgültige Durchbruch gelang ihm im Jahr darauf mit dem Roman „Eine lange Nacht“. Sein Protagonist, ein gescheiterter Jura-Student und romantisches Schlitzohr, verkörpert ein mögliches Alter Ego. „Die eigene Lebenswelt ist die Voraussetzung für eine souveräne Beherrschung des Stoffs“. Aber: „Man darf nie da sein, worüber man schreibt“, fügt er hinzu. Unter dem Druck der Fakten kann er nun einmal nicht schreiben. Er will seine Erfahrungen „verdaut“ haben, die Lücken der Erinnerung mit eigenen Träumen und Fantasien füllen. Deshalb schreibt er jeden Roman woanders. Den historischen „Nebelfürst“ (2001), der über die Bären-Insel am Nordpol gebietet, etwa im indischen Radjastan, „Das Beben“ (2005), das ebendort spielt, im Wallis, in Kairo und Ahrenshoop und seinen jüngsten Roman unter dem Fächeln einer marokkanischen Dauerbrise.
Die kulturhistorischen Essays, die Mosebach in diversen Zeitungen veröffentlicht, auch die Streitschrift des gläubigen Katholiken für die vorkonziliare lateinische Liturgie, die unter dem Titel „Häresie der Formlosigkeit“ erschienen ist, weisen ihn als enzyklopädisch gebildet und diskursiv geschult aus. Doch Mosebach findet das am interessantesten, was einem Autor unterläuft, wenn er dem Unwillkürlichen folgt. Im Idealfall hält Mosebach das epische Werk nicht nur für ein „geordnetes Chaos“, sondern für den Traum des Verfassers, den der Leser entschlüsseln soll – diesmal einen globalisierten Sommernachtstraum.
Claudia Schülke

Freitag, 24. August, 20.30 Uhr, Markgrafentheater