Doris Runge

Die 1943 in Mecklenburg geborene Doris Runge ist die Tochter eines nach dem Zweiten Weltkrieg enteigneten Fabrikanten. 1953 übersiedelte die Familie nach Schleswig-Holstein. Doris Runge besuchte Schulen in Oldenburg und Lübeck. Sie absolvierte ein Studium an der Pädagogischen Hochschule in Kiel und war einige Jahre als Lehrerin tätig. Von 1970 bis 1975 lebte sie auf Ibiza. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ließ sie sich im so genannten „Weißen Haus“ in unmittelbarer Nachbarschaft zum Kloster Cismar in Schleswig-Holstein nieder, wo sie auch heute lebt. Sie betreibt eine Kunstgalerie, seit 1993 veranstaltet sie dort regelmäßig Lesungen. Doris Runges Gedichte werden von der Kritik wegen ihrer präzisen lakonischen Führung in die Tradition eines Paul Celan und Hans-Magnus Enzensberger gestellt. Besonders auffällig an ihren interpunktionslosen Gedichten ist der Einsatz des Apokoinu, durch das die einzelne Aussage einen mehrdeutigen Charakter annimmt und auf verschiedene Weise gelesen werden kann. Das Apokoinu ist eine rhetorische Figur der Worteinsparung. Sie ist gegeben, wenn ein Satzglied eines Satzes oder Satzteils syntaktisch und semantisch in den folgenden Satz hinüber gleitet. Dieses von Doris Runge zur Meisterschaft geführte Stilmittel gab es schon in der Antike. Mit Gespür für Lässigkeit und Ironie frischt Doris Runge es auf. „Kein Wort ist zu viel. Kein Wort ist zu wenig. Das Wenige, das sich die Dichterin aus der Fülle von Schöpfung und Leben, Fest und Alltag herausnimmt, ergreift sie traumwandlerisch sicher mit ihrem poetischen Instinkt. Doris Runge-Wörter sind auf ein Tausendstel Gramm abgewogen“, schrieb der Schriftsteller Jochen Missfeldt über ihren Gedichtband „du also“ (2003). Bei allem Formbewusstsein – Doris Runges überaus sinnliche Gedichte sperren sich nicht gegen einen spontanen, intimen Dialog mit dem Leser. Ihre Gedichte zeugen von einem buchstäblich zu verstehenden Wort-Bewusstsein. Lebensgesättigt, zutiefst subjektiv, ohne jede Sentimentalität, indes von echtem Pathos erfüllt, handeln sie vom Fremdsein in einer Welt, die dem Einzelnen immer weniger Schutz und Geborgenheit gibt. Der in diesem Jahr veröffentlichte, zauberhafte und sich bewusst auf die finstere Seite der Märchentradition stellende Gedichtband „die dreizehnte“ gehört zu ihren schönsten. Deutlicher als zuvor tritt die schleswig-holsteinische Landschaft mit ihrer Küste, dem Deich, dem weiten Horizont und dem wolkenreichen Himmel hervor. Doris Runges Gedichte sind zudem die Tänzerischsten, die man in der heutigen Lyrik finden kann. (H. St.)
Auszeichnungen u.a.: Friedrich Hebbel-Preis (1985), Friedrich Hölderlin-Preis, Liliencron-Dozentur der Universität Kiel (1997), Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein (1998), Poetikprofessur der Universität Bamberg (1999), Ida Dehmel-Literaturpreis (2007).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „jagdlied“, Gedichte, DVA, Stuttgart 1985 – „kommt zeit“, Gedichte, DVA, Stuttgart 1988 – „wintergrün“, Gedichte, DVA, Stuttgart 1991 – „grund genug“, Gedichte, DVA, Stuttgart 1995 – „Welch ein Weib! Mädchen- und Frauengestalten bei Tho-mas Mann“, DVA, Stuttgart 1998 – „trittfeste schatten“, Gedichte, DVA, Stuttgart 2000 – „du also“, Gedichte, DVA, Stuttgart 2003 – „die dreizehnte“, Gedichte, DVA, Stuttgart 2007

Sonntag, 26. August, 16 Uhr, Schlossgarten