Oswald Egger

Wer diesen Dichter bei seinen Auftritten erlebt, verfällt gleich den Suggestionen seiner Stimme. Es ist eine leise, fast heisere Stimme, die über einen schier unermesslichen Vokabel-Vorrat und einen enormen Sprachreichtum zu verfügen scheint. Eine Lesung des 1963 in Lana/Südtirol geborenen Dichters und Peter-Huchel-Preisträgers Oswald Egger wird zu einer Demonstration der Sprachmagie: mit Wörtern von faszinierender Klanggestalt, naturmagisch aufgeladenen Vokabeln und nie zuvor gehörten Wort-Aggregationen, die der Autor in feierlich-flüsternder, virtuos-lautmalerischer und kryptisch-zungenrednerischer Diktion vorträgt. In einem Essay für Joachim Sartorius’ Anthologie „Minima Poetica“ (1999) hat Egger einmal die Kompositionsform seiner Gedichte mit „Klöppelbriefen“ verglichen: Tatsächlich entsteht hier aus dem beständigen Flechten, Knüpfen, Schnüren und Verweben von Wörtern und Wortpartikeln ein zaubrischer Natur-Kosmos. Eggers erster, 1993 erschienener Gedichtband „Die Erde der Rede“ war in wesentlichen Teilen in lateinischer Sprache abgefasst. Hier zog der Autor bereits jene Traditionslinien in die Antike, suchte die Nähe zu den historisch versunkenen Formen römischer Dichtkunst, die ihn heute noch umtreiben. Bereits vor seinem Debüt war Egger als Spiritus Rector der „Kulturtage Lana“ in Erscheinung getreten, die er einmal im Jahr in ein Mekka für die sprachexperimentellen Dichter Europas verwandelte. Seine Suche nach den innersten Geheimnissen der Sprache trieb den Dichter bald danach zu barocken Großpoemen von 300 Seiten, wie z.B. „Herde der Rede. Poem“, das in seiner Wortsucht einzigartig ist. Oswald Egger wechselte in den letzten Jahren häufig seine Standorte. Seit drei Jahren lebt er auf einer ehemaligen Raketenstation nahe der Museumsinsel Hombroich, einer klimatischen Schnittstelle am Nordrand der Kölner Bucht, die mittlerweile zum Pilgerort für junge Dichter geworden ist. In seinen neuesten Büchern hat sich Egger von der Kompositionsform des barocken Groß-Poems abgewandt und das „Kalendergedicht“ für sich entdeckt. Darin begeistert er sich für den Reiz mathematischer und zahlenmystischer Strukturbildung, die er – wie einst der Romantiker Novalis – als poetisch grundlegend für das „Verhältnisspiel der Dinge“ empfindet. In seinem neuesten Werk, dem „nihilum album“, präsentiert Oswald Egger nicht weniger als 3650 Vierzeiler, gleichsam zehn kleine Stücke pro Tag eines Jahres. Mit der Kühnheit des sprachbegeisterten Poeten qualifiziert der Dichter seine Vierzeiler als „Lieder“. In einer knappen Nachbemerkung beruft er sich sogar auf die traditionell volkstümliche Liedform der „Stanzen“. Es ist jedenfalls eine Gedichtsprache, die fortwährend den Ton und die Sprechhaltung ändert und sich auch heiter-groteske Wortarabesken gestattet. Mit seinem „nihilum album“ ist Oswald Egger der originellste lyrische Wort-Alchemist der Gegenwart. (M. B.)
Auszeichnungen u.a.: Österreichisches Staatsstipendium für Literatur (1995, 2001), Mondseer Lyrikpreis (1999), Clemens Brentano-Preis (2000), Lyrikpreis Meran (2002), Stipendium des Deutschen Literaturfonds (2003), Christian-Wagner-Preis (2006), Peter-Huchel-Preis (2007).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Die Erde der Rede. Gedichte. Theater“, Kleinheinrich, Münster 1993 – „Gleich und Gleich“, Ed. Howeg, Zürich 1995 – „Blaubarts Treue“, Gedichte, Ed. Howeg, Zürich 1996 – „Juli, September, August“, Poem, Ed. Solitude, Stuttgart 1997 – „Und: der Venus Trabant. Oper als Topos ohne Ort“, Prosa, Ed. Howeg, Zürich 1997 – „Sommern“, Text-Bild-Kombinationen, Ed. Howeg, Zürich 1998 – „Herde der Rede. Poem“, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1999 – „Poemanderm Schlaf. (Der Rede Dreh)“, Ed. Howeg, Zürich 1999 – „To Observe The Obverse“, Ed. Howeg, Zürich 2000 – „Nichts, das ist“, Gedicht/Essay, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2001 – „-broich. Homotopien eines Gedichts“, Ed. Korrespondenzen, Wien 2003 – „Prosa, Proserpina, Prosa“, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2004 – „Tag und Nacht sind zwei Jahre“, Kalendergedichte, Ulrich Keicher Verlag, Warmbronn 2006 – „nihilum album“, Lieder und Gedichte, mit Audio-CD, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2007 – „Lustrationen. Vom poetischen Tun“, Suhrkamp, Frankfurt a.M., Dezember 2007

Sonntag, 26. August, 18.30 Uhr, Schlossgarten