Harald Martenstein

Am 16. September bekommt er in München die „Corine“ verliehen, eine mit beachtlichem Glamour verbundene literarische Auszeichnung. Dann wird der Kolumnist der Wochenzeitung „Die Zeit“ seinen Lesern einiges in eigener Sache zu berichten haben, denn es ist kaum denkbar, dass er sich diese Preisverleihung als Anlass für eine verschmitzte Kolumne entgehen lässt. Vielen Leuten ist Harald Martenstein nicht nur ein Begriff, sondern – wie sonst nur Axel Hacke – eine veritable Marke auf dem Gebiet des Journalismus: ironische Feinkost. Und doch genügte es dem 53-jährigen Berliner nicht, immer bloß Kolumnen zu schreiben; im Frühjahr legte er mit „Heimweg“ seinen nun prämierten Erstlingsroman vor. Auch hier spielt Persönliches eine Rolle, „Mythen der eigenen Familiengeschichte“, wie er in Interviews gerne zugibt: „Gerade die schlimmen Sachen des Romans habe ich nicht erfunden“. In der Tat kommen Morde aus Wahnsinn und Niedertracht vor, die den Text zuweilen wie eine Schauernovelle aus der Romantik erscheinen lassen. Erzählt wird die Geschichte des Kriegsheimkehrers Joseph und seiner Frau Katharina Anfang der 50er-Jahre; in Rückblenden gelangt der Leser jedoch bis weit ins 19. Jahrhundert zurück. Zahlreiche Verästelungen ergeben ein urdeutsches Panorama in der Stadt Mainz, ein „schöner Stoff, anschaulich, unterhaltsam, temporeich präsentiert, etwas kolportagehaft, aber mitunter sehr komisch“, wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schreibt, um die Kritik des „raffinierten und hintersinnigen“ Romans mit den Worten zu beenden: „Welch ein Glück!“ Für alle, die den Kolumnisten Martenstein schätzen, das Buch aber noch nicht kennen, eröffnet sich auf dem Poetenfest die Chance, neue Facetten eines beliebten Autors zu entdecken. Denn das Erzähler-Ich des Romans deckt sich nicht mit dem Kolumnisten-Ich, das wäre Harald Martenstein zu einfach. Hinter dem „leichten, tragikomischen Plauderton“ verbirgt sich eine für deutsche Literatur ungewohnte Variante des magischen Realismus: „Wie Wasserleichen steigen Geschichten aus der Vergangenheit auf und durchstoßen die glatte Oberfläche der Wirtschaftswunderwelt“. Selten sind die 50er-Jahre mit mehr Zuneigung und Akribie beschrieben worden, ohne es zugleich an Aufmerksamkeit für ihre Schattenseiten fehlen zu lassen. (F. F. W.)
Harald Martenstein wurde 1953 in Mainz geboren. Er studierte Geschichte und Romanistik in Freiburg . Anschließend war er Redakteur bei der „Stuttgarter Zeitung“ und beim „Tagesspiegel“ in Berlin, zu dem er nach einem Gastspiel in der Kulturredaktion der „Abendzeitung“ in München als Chefreporter zurückkehrte. Heute lebt und arbeitet Martenstein in Berlin.
Auszeichnungen u.a.: Egon Erwin Kisch-Preis (2004), Corine – Rolf Heyne Debütpreis (2007).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Die Mönchsrepublik. Erotik in der deutschen Politik von Adenauer bis Claudia Nolte“, Fannei & Walz, Berlin 1994, TB Reclam, Leipzig 1997 – „Das hat Folgen. Deutschland und seine Fernsehserien“, Reclam, Leipzig 1996 – „Wachsen Ananas auf Bäumen? Wie ich meinem Kind die Welt erkläre“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2001, TB Piper, München 2003 – „Vom Leben gezeichnet. Tagebuch eines Endverbrauchers“, Hoffmann und Campe, Hamburg 2004, TB Piper, München 2006 – „Heimweg“, Roman, C. Bertelsmann, München 2007 – „Männer sind wie Pfirsiche. 52 Betrachtungen mit einer Gegenrede von Alice Schwarzer“, C. Bertelsmann, München, September 2007

Samstag, 25. August, 19 Uhr, Schlossgarten