Larissa Boehning

Die 36-jährige Larissa Boehning erzählt in ihrem ersten Roman die Geschichte einer Suche. Aus einem nachgelassenen Tonband, das ihre Großmutter kurz vor ihrem Tod besprochen hat, erfährt Nele Niebuhr den Teil der Familiengeschichte, der verschwiegen oder falsch erzählt wurde. Sie begibt sich auf die Reise zu ihrem Großvater, der als Soldat im Zweiten Weltkrieg dem dritten US-Corps angehörte. Sie erfährt auch, dass der Amerikaner Harold McGee im thüringischen Salzbergwerk Merker, in dem die Nazis Gold und Kunstgegenstände gebunkert hatten, ein Bild von Degas gefunden und in seinem Stiefel versteckt mitgenommen hat, um es ihrer Großmutter zu schenken. Die Geschichte, die das Tonband wiedergibt, unterscheidet sich von den Geschichten, die man Nele erzählt hat. In den Stunden eines Transatlantikfluges berichtet sie ihrem Sitznachbarn, einem alten Museumsmann, Spezialist für Naziraubkunst und Restitution, einem Liebhaber der Bilder, von den Erlebnissen, die hinter ihr liegen. Die Autorin zeigt in Vor- und Rückblenden die Kriegsverhältnisse, unter denen ihre Großmutter und Urgroßmutter lebten und hungerten, gibt Einblick in das Leben ihrer Eltern, die das Prinzip der Lüge in ihrem Leben fortsetzen, schildert ihr Treffen mit einer jungen amerikanischen Ausreißerin und berichtet von ihrer eigenen unglücklichen Liebe zu Eric. Seit Nele die Tonbänder kennt, hat sie begriffen, was die Wiederholung von Lüge und Verschweigen in ihrer Familie angerichtet hat. Mehr bewusst als unbewusst zieht sie für ihr eigenes Leben die Konsequenz. Verlässt ihren Freund Eric, verweigert sich einem neuen Job, findet ihren Großvater, der zu alt und zu starr ist, um zu glauben, dass seine Enkeltochter vor ihm steht, sieht das Bild von Degas, das sie nicht anfassen darf und erkennt in seinen Zügen die Züge ihrer Mutter wieder. Larissa Boehning erzählt in diesem raffiniert komponierten Buch deutsche Nachkriegsgeschichte. Eine Spur, einmal gelegt, zieht sich durch die Generationen. (V. A.)
Auszeichnungen u.a.: Literaturpreis Prenzlauer Berg, Stipendium der Autorenwerkstatt Prosa am Literarischen Colloquium Berlin (2002).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Schwalbensommer“, Erzählungen, Eichborn, Frankfurt a.M. 2003 – „Lichte Stoffe“, Roman, Eichborn, Frankfurt a.M., August 2007

Sonntag, 26. August, 14 Uhr, Schlossgarten