Katja Lange-Müller

Dieser Sound! Das macht Katja Lange-Müller niemand nach. Vom ersten bis zum letzten Satz ist diese Rhapsodie im Präsens eine nachgetragene Liebesgeschichte. Und wie viele Liebesgeschichten endet sie traurig, entsetzlich traurig. Wie oft, wenn etwas traurig ist, kann man auch ein bisschen lachen. Lachen über Soja, diese wunderbare Göre, die robust, hingebungsvoll und unerschrocken ist. Soja ist Mitte der 80er-Jahre von Ost-Berlin nach West-Berlin getürmt, hat herumgejobbt und ist durch die Tag- und Nachtstadt Berlin getaumelt. Dann trifft sie Harry. „Harry“, wird sie Jahre später sagen, „Harry, Du warst einfach anbetungswürdig“. Katja Lange-Müller, die unerbittliche Stilistin, die ihre Sätze formt wie Komponisten die Sätze einer Partitur, liebt die Pflanzen (Soja verkauft Blumen) und die Tiere (Soja hat eine Ratte, die „Friede“ heißt). In jedem ihrer Bücher findet man eine Hommage an Pflanzen und Tiere. „Böse Schafe“ ist ein melancholischer Roman über zwei Menschen, die aus der Welt geflogen sind, Soja aus ihrem Ostleben und Harry aus seinem Westleben. Soja will ihn erobern mit der ganzen Verve ihrer unerbittlich großzügigen Person, aber Harry zögert, er kommt mit Benno in ihre Bude, irgendetwas hindert ihn, Soja, die er manchmal „Baby“ nennt – was sie hasst – und zum Schluss „Bärchen“ sagt – was sie hinnimmt –, ganz in seine Nähe zu lassen. Es dauert eine Weile, bis sie kapiert, dass Harry, der Mann mit der „stolzen Eisbärmiene“, ein entlassener Knastbruder und ein leider nicht mehr zu rettender Junkie ist. Soja will das nicht wahrhaben, sie kämpft, steckt ihm Geld zu und ihren Bademantel und noch viel mehr. Sie sucht ihm eine Wohnung, damit er einen festen Wohnsitz hat, läuft nachts durchs Schneegestöber, weil sie sich Sorgen macht. Soja hofft und bangt und liebt und liebt und fragt nicht. Erst Jahre nach seinem Tod bringt sie es fertig, Harrys Schulheft und die undatierten Einträge darin zu lesen. Soja findet einen Spruch von Konfuzius, Hinweise auf andere Frauen und kein einziges Wort über sich. „Böse Schafe“ ist ein Bekenntnis zur Unbedingtheit der Liebe, ein Buch über Berlin, den Fall der Mauer und ein Buch über die Sucht, die stärker ist als jeder Versuch, die Vernunft einzusetzen. Wer die Bücher der 1951 geborenen Katja Lange-Müller von der vor 19 Jahren erschienenen Erzählung „Kasper Mauser – Die Feigheit vorm Freund“ bis zu „Die Enten, die Frauen und die Wahrheit“ (2003) kennt, wird vieles vertraut sein, aber doch ist es diesmal anders. Eine in uneingeschränkter Offenheit erzählte Liebesgeschichte, eine solch hinreißende Selbstentblößung, ist Katja Lange-Müller in „Böse Schafe“ zum ersten Mal gelungen. (V. A.)
Auszeichnungen u.a.: Ingeborg-Bachmann-Preis (1986), Stadtschreiberin von Bergen-Enkheim (1989/90), New York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1990), Alfred-Döblin-Preis (1995), SWR-Literaturpreis, Stadtschreiberin von Rheinsberg (2001), Stadtschreiberin von Mainz (2002), Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor (2005).

Veröffentlichungen (Auswahl):
– „Wehleid – Wie im Leben“, Erzählungen, S. Fischer, Frankfurt a.M. 1986 – „Kasper Mauser – Die Feigheit vorm Freund“, Erzählung, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1988, TB S. Fischer, Frankfurt a.M. 1990 – „Verfrühte Tierliebe“, Erzählungen, Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995, TB dtv, München 1999 – „Die Letzten. Aufzeichnungen aus Udo Posbichs Druckerei“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2000, TB S. Fischer, Frankfurt a.M. 2002 – „Vom Fisch bespuckt. Neue Erzählungen von 37 deutschsprachigen Autorinnen und Autoren“, Hrsg., Kiepenheuer & Witsch, Köln 2002 – „Die Enten, die Frauen und die Wahrheit“, Erzählungen, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003, TB S. Fischer, Frankfurt a.M. 2006 – „Böse Schafe“, Roman, Kiepenheuer & Witsch, Köln, August 2007
Theater (Auswahl):
– „Schneewittchen im Eisblock“, UA Staatstheater Braunschweig 1996 – „Beispiellose Entblößung einer Kaufhausdiebin“, UA Städtische Bühnen Freiburg i. Br. 1999

Sonntag, 26. August, 15.30 Uhr, Schlossgarten