Lyrik beim 26. Erlanger Poetenfest – Die Abenteuer der Sprache I
Lesungen und Gespräche mit Matthias Göritz (14 Uhr) und Sabine Schiffner (19 Uhr), Moderation: Michael Braun
Das moderne Gedicht, hat Paul Celan einmal gesagt, sei seinem Wesen nach „dialogisch“, es könne eine „Flaschenpost“ sein: „Gedichte sind auch in dieser Weise unterwegs: sie halten auf etwas zu.“ Aber welche Bewegungsrichtung wählt das moderne Gedicht, worauf hält es zu? Und ist es nicht eher „monologisch“ als „dialogisch“? Jede neue Generation von Lyrikern hat sich vor diesen Grundsatzfragen zu bewähren, in jeder lyrischen Saison wird auch die „Zeitgenossenschaft“ zur begehrten Ressource. Seinen Geltungsanspruch, die poetische Grammatik der Zeit zu finden, kann ein Gedicht aber nur beglaubigen, wenn es „das punctuelle Zünden der Welt im Subject“ (Friedrich Theodor Vischer) als semantisches, klangliches und syntaktisches Abenteuer gestaltet.
Bereits dreimal hat das Erlanger Poetenfest in Lesungen und Gesprächen die Gelegenheit geboten, diese aufregenden Sprach-Abenteuer der zeitgenössischen Lyrik mitzuerleben.
Auch beim 26. Poetenfest begegnen sich die unterschiedlichsten poetischen Temperamente und Stimmen, die, wie es Celan formuliert hat, „mit ihrem Dasein zur Sprache gehen, wirklichkeitswund und Wirklichkeit suchend“.
Da ist zunächst ein so präzise den Augensinn erprobender Debütant wie der 1972 geborene Tübinger Nico Bleutge, der wie kein anderer Autor seiner Generation das „Abenteuer des Sehens“ in seinen Gedichten realisiert. Ganz nah fährt der Dichter mit der optischen Apparatur seiner Gedichte an die von ihm in den Blick genommenen Gegenstände und Naturphänomene heran – seine Zooms auf die sinnlichen Details, seine rasch wechselnden Perspektiven auf die Konturen und Ränder der Dinge lassen das Vertraute fremd werden.
Solche Abenteuer der Wahrnehmung und Bilder einer versunkenen Kindheit inszeniert die 1965 geborene Sabine Schiffner aus romantischer Perspektive. Ihre Gedichte rekonstruieren Urszenen einer Kindheit, in denen noch das Staunen möglich war vor dem Zauber der Naturdinge – und in denen „Familienwunder“ unauslöschliche Zeichen in den Körpern hinterlassen haben, „Male“ als Sinnbilder einer unglücklichen Lebensgeschichte.
Ein ganz anderes Bildprogramm als Bleutge und Schiffner verfolgt der in Frankfurt am Main lebende Großstadtpoet Matthias Göritz. Von der Poetik des früh gestorbenen Rebellen Rolf Dieter Brinkmann hat der 1969 in Hamburg geborene Autor gelernt, die Sprache „aus den Festlegungen raus“ zu führen. In immer neuen Shortcuts flimmernder Urbanität ziehen Göritz’ Gedichte in sorgfältigen Schleifen („loops“ – so auch der Titel seines ersten Gedichtbands von 2001) die Spuren alltäglicher Erfahrung nach. Ein poetischer Traditionalist im besten Sinne ist dagegen der 1946 in Sachsen geborene Richard Pietraß, der als hintersinniger „Schalkschädel“ und Reimkünstler seine gefährlichen Lebens-Abenteuer zwischen „Scyllen und Charybden“ besteht. Pietraß ist einer der kenntnisreichsten Dichter aus dem Osten Deutschlands, der schon frühzeitig allen ideologischen Annäherungs- und Erziehungsversuchen durch die Politik eine Nase gedreht hat. Als „Freigänger“ nähert er sich in seinen neuen Gedichten den Schönheiten und Grausamkeiten dieser Welt, umkreist die letzten Fragen von Vergänglichkeit und Tod aus artistischer Distanz: „Unsere kalten Lieben stehen nicht dagegen / Daß wir uns atmend zueinanderlegen.“
So ist auch beim 26. Erlanger Poetenfest die Lyrik wieder unterwegs – noch immer empfindlich gegen die Wirklichkeit und noch immer Wirklichkeit suchend.
Michael Braun
Samstag, 26. August, 14 und 19 Uhr, Schlossgarten
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