Autorenporträt: Oskar Pastior
Jalousien aufgemacht ... Lesung und Gespräch mit Oskar Pastior und Peter Urban, Moderation: Ernest Wichner
Die erste poetische „Grübelspeise“, die der Dichter Oskar Pastior als Kind zu sich nahm, bestand aus einer Litanei aus drei Wörtern. Sie wurde rituell gemurmelt an einem siebenbürgischen Sommernachmittag in den 1930er Jahren, als es darum ging, die endlos sich dehnende Zeit auszufüllen. Allein gelassen in seinem Zimmer, summte der Junge seine magischen Zeilen fast wie ein Gebet vor sich hin: „Jalusien aufgemacht, Jalusien zugemacht/ Jalusien aufgemacht, Jalusien zugemacht....“ An dieser kindlichen Selbstvergessenheit, an dem absichtslosen, freien Spiel mit Wörtern, der Freude an verbalen Slapsticks und gebetsmühlenhaften Litaneien hat der Dichter Pastior im Grunde bis heute festgehalten. Zwar vergingen noch viele Jahre, geprägt durch die Entbehrungen im rumänischen Kommunismus, bis aus dem Bautechniker und Kistennagler Oskar Pastior der überragende Sprachakrobat unserer Gegenwart wurde. Aber der Leidenschaft für wortwitzige Sprachwerke ist er zeitlebens treu geblieben. 1945 hatte man den 19-Jährigen zur Zwangsarbeit in die Ukraine und ins russische Donbass deportiert, der „Hermannstädter Heimkehrer“ gab davon 1950 einen Bericht in der deutschen Tageszeitung „Neuer Weg“, den die kommunistischen Kulturpolitiker Rumäniens zu einem Dokument des Aufbau-Pathos umfrisierten. So beruhte das poetische Debüt des Oskar Pastior 1950 auf einer Fälschung. Die vertrackt sprachspielerischen, als „formalistisch“ verschrienen Gedichte des jungen Poeten konnten in den folgenden Jahren nicht gedruckt werden. Was man druckte, waren einige kommunismus-konforme Aufbau-Gedichte, in denen die „Helden der Arbeit“ gefeiert werden. Das eigentliche poetische Erwachen des Oskar Pastior fand statt, als er die Brücken zu seiner rumänischen Existenz bereits abgebrochen hatte. 1968 setzte sich der Rundfunkredakteur und Dichter aus Hermannstadt nämlich in den Westen ab, um hier seinen poetischen Weg „vom Sichersten ins Tausendste“ – so der Titel seines ersten in Deutschland veröffentlichten Gedichtbands – zu gehen. Seit dieser Zeit verblüfft er die literarische Welt regelmäßig mit fantasievollen poetischen „Wechselbälgern“, die sich der „Aufweichung normativen Denkens“ verpflichtet fühlen.
Seit nunmehr vierzig Jahren brütet der mittlerweile 78-jährige Oskar Pastior in seinem Sprachlaboratorium über neuen alchimistischen Verfahren zur Herstellung poetischer Aggregatszustände der Sprache. Dabei setzt er immer wieder in unermüdlichem Experimentiereifer seine „kleine Kunstmaschine“ in Bewegung: Hierzu benutzt er eine große Zahl von Wörterbüchern, sein autobiografisch gespeistes Archiv mit Versatzstücken der indo-europäischen Sprachwelt – und wechselnde poetische Regelprogramme, mit denen seine Kunstmaschine gefüttert wird. Sein Sprachenreservoir, aus dem er seine Wort- und Klang-Figuren schöpft, hat er einmal – im Titel eines Gedichtbands – als „krimgotischen Fächer“ bezeichnet: Dieser umfasst die siebenbürgisch-sächsische Mundart seiner Großeltern, Reste von Schullatein und „Pharma-Griechisch“, das archaische Neuhochdeutsch der Eltern, ein im sowjetischen Arbeitslager zwischen 1944 und 1949 implantiertes Basis-Russisch, das Gassen-Rumänisch und -Ungarisch, und nicht zuletzt universitäre Rudimente von Alt-, Mittelhochdeutsch, Englisch und Französisch.
Dieses Repertoire der Vielsprachigkeit nutzt Pastior für den systematischen Aufbau einer ganz eigenen lyrischen Formenwelt. Alle nur denkbaren Gedichttypen der poetischen Tradition werden von ihm auf ihren aktuellen Gebrauchswert geprüft. In den achtziger Jahren startete er sein Formenerweiterungsprogramm mit „Sonetburgern“ und „Anagrammgedichten“, um anschließend den Schwierigkeitsgrad seiner Exerzitien immer weiter zu steigern. In all diesen lyrischen Feuerwerkereien läuft aber stets ein biografischer Subtext mit, der die Wortschatzmagien mit Geschichtsstoff auflädt.
Donnerstag, 24. August, 20 Uhr, Markgrafentheater |
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