Autorenporträt: Friederike Mayröcker
Mit ungeduldigem Herzen Lesung von Friederike Mayröcker, Einführung von Annette Brüggemann, Dokumentarfilm "1 Häufchen Blume - 1 Häufchen Schuh" (ORF, 1990, 45 min) von Carmen Tartarotti
Friederike Mayröcker hat wie keine andere Schriftstellerin der Gegenwart die poetische Sprache revolutioniert. Viele Jahre schrieb sie ohne öffentliche Anerkennung, doch mit dem höchsten Anspruch und einer bemerkenswerten Produktivität, die ihren Lebensgefährten Ernst Jandl zu der Bemerkung hinriss, er komme mit dem Lesen nicht mehr mit. Friederike Mayröcker formulierte es 1962 in ihrem Gedicht „Der Aufruf“ folgendermaßen: „Ohne Wahl aber mit ungeduldigem Herzen“. Heute ist sie Büchner-Preisträgerin, sie erhielt den großen österreichischen Staatspreis, den Else-Lasker-Schüler-Lyrikpreis, den Premio Internazionale 2003 und viele Auszeichnungen mehr. 47 Jahre verband sie eine Partnerschaft mit dem Dichter Ernst Jandl, der vor fünf Jahren verstarb. Friederike Mayröcker lebt und schreibt heute noch in der Zentagasse in Wien: Ihre Wohnung ist ein oszillierender Kosmos voller Bücher, Briefe, Blätter und Notizzettel. Poesie und Leben sind in ihrem komplexen Werk eine einzigartige, dynamische Symbiose eingegangen. Die Literatur selbst hat die Biografie Friederike Mayröckers überschrieben. Über 100 Buchpublikationen, zahlreiche Übersetzungen und an die 40 Hörspielproduktionen hat Friederike Mayröcker vorzuweisen: Lyrik, Prosa, Theaterstücke und selbst illustrierte Kinderbücher. Darunter Titel wie „Tod durch Musen. Poetische Texte“ (1966), „Fantom Fan“ (1968), „Die Abschiede“ (1980), „Magische Blätter“ (1983), „Das Herzzerreißende der Dinge“ (1985), „Winterglück“ (Gedichte 1981–1985), „brütt oder Die seufzenden Gärten“ (1998) und „Requiem für Ernst Jandl“ (2001). Ihre formale und inhaltliche Grenzen sprengende Literatur hat viele Schriftsteller jüngerer Generationen wie Thomas Kling, Marcel Beyer und Ulrike Draesner in ihren Bann gezogen. Zu schreiben begann Friederike Mayröcker während der Kriegsjahre, später ließ sie sich inspirieren von der „Wiener Gruppe“, die mit ihren Sprachexperimenten in den 1950er-Jahren Furore machte. 1969 stieg sie aus ihrem Beruf als Englischlehrerin aus und widmete ihre freie Zeit nur noch der Poesie.
Ihr Werk ist eine Sehschule, wie es der Lyriker Thomas Kling anlässlich der Verleihung des Büchner-Preises 2001 in aller Präzision formulierte. Es ist dem Erwachen des Auges gewidmet und der alchemistischen Transformation in Sprache. Friederike Mayröcker tut es im Sinne von Novalis, in einer Innen- und Außenschau: „Der Sitz der Seele ist da, wo sich Innenwelt und Außenwelt berühren. Wo sie sich durchdringen, ist er in jedem Punkte der Durchdringung“ (Novalis). Das Wunder Sprache sich ereignen zu lassen, ihm unbegrenzt zu vertrauen, das fordert die Literatur Friederike Mayröckers. Das erinnernde Abtasten von Welt, die ungestüme Wahrnehmung Friederike Mayröckers kreist in ihrem jüngsten Buch „Und ich schüttelte einen Liebling“ um die Gegenwart eines Schreibparadieses und die Ungewissheit seines Endes. Noch einmal wird die Unschuld eines Neuanfangs beschworen, um dem „Zentrum des Schreibens und Schweigens“ nahe zu sein, der Schönheit des Augenblicks, der Glückseligkeit, den imaginären Paysagen. Geprägt von den Werken bildender Kunst, insbesondere der Malerei von Goya, Picasso, Dalí, Max Ernst oder Francis Bacon, erschafft Friederike Mayröcker eine irisierende Poesie, einen „sprühenden Funkenregen“ aus bewegenden Bildern, der niedergeht in uns. Rhythm is it! „Das Material aufgenommen von einer Sprach-Hochgeschwindigkeitskamera – Mayröcker-Kino! Eines der schnellen Schnitte und Gegenschnitte“ (Thomas Kling). Mit jedem Wort flüstert uns die Schriftstellerin ins Ohr: Es gibt keine Erlösung, kein Leben, keine Liebe ohne Literatur.
Friederike Mayröcker wird Gedichte sowie aus ihrer jüngsten bei Suhrkamp erschienenen Prosa „Und ich schüttelte einen Liebling“ lesen.
Sonntag, 27. August, 20 Uhr, Markgrafentheater |
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