Porträt International: Dževad Karahasan
Die Literatur kann nicht dabei helfen, einen Hasen zu erlegen
Lesung und Gespräch mit Verena Auffermann

Vielleicht wäre der Schriftsteller Dževad Karahasan gar kein Schriftsteller geworden. Ohne Krieg wäre er jetzt vielleicht ein bekannter Regisseur an einem der Theater Sarajevos. Der Balkan-Krieg, die Belagerung Sarajevos, die im April 1992 begann, hat aus ihm einen anderen Menschen gemacht. Der damals Vierzigjährige wollte nicht fliehen, er wollte bleiben, auch nachdem seine Wohnung zerbombt und eine Granate mitten durch seine Bibliothek und Heinrich Kellers „Grünen Heinrich“ gefahren war. Ein Kollege holte ihn aus seinem Versteck, und ein Kommandeur der UN-Friedenstruppe ließ ihn ausfliegen. Im Exil, das Dževad Karahasan durch deutsche und österreichische Städte nach Graz führte, wo er 1997 für fünf Jahre Stadtschreiber und Dozent wurde, schrieb er auf, was ihm, seiner Familie und seinem Land geschehen war. Jetzt lebt Dževad Karahasan in Graz und in Sarajevo.
Dževad Karahasan wurde 1953 in der jugoslawischen Stadt Duvno geboren, er ist der Sohn einer gläubigen Sunnitin und eines Kommunisten, der zu den Franziskanern in die Schule geschickt wurde. So ist er von Kindheit an mit der Verschiedenheit der Religionen, den Differenzen zwischen Christentum und Islam vertraut. Der Schüler Karahasan interessierte sich für klassische Sprachen, Theologie und Philosophie, der Student promovierte über Miroslav Krleža, den bedeutendsten Autor seines Landes. Karahasan liest den Koran auf Arabisch, Dostojewski auf Russisch, Büchner, Kleist und Goethe übersetzte er. Der Bosnier heiratete eine Serbin, deren Mutter von serbischen Garden getötet wurde, weil sie muslimische Nachbarn versteckt gehalten hatte. 1993 veröffentlichte er sein „Tagebuch der Aussiedlung“, ein eindrucksvoller Versuch, für Gewalt und Vertreibung Worte zu finden. „Meine Heimat“ sagt er, „liegt dort, wo sich islamische und katholische, orthodoxe und jüdische Lebenswelten berühren und durchdringen.“ Diese geistige Heimat bestimmt seine Bücher, für die er 2004 mit dem angesehenen Preis für „Europäische Verständigung“ in Leipzig geehrt wurde.
„Ich bin ich, weil du du bist“. Wer sich ein solches Motto aussucht, ist auf Kommunikation, Austausch, Neugier, Wissensdurst angewiesen. Die eigenen Konturen in der Reflexion über das Andere zu schärfen, gelingt nicht ohne Schmerz. Überprüfung bedeutet Abgrenzung und Widerspruch. Ohne Spannung kommen Begegnungen nicht zustande. Einer mit diesem identitätsstiftenden Anspruch ist kein Pessimist. Auch in dem ergreifenden und beängstigenden Roman „Der nächtliche Rat“, der in diesem Frühjahr erschienen ist, schaffte sich Karahasan mit seiner Hauptfigur, dem in Berlin lebenden Arzt Simon Mihailović, Gelegenheit, sich selbst im Spiegel zu überprüfen. Der Arzt, nach dem Auszug des Sohnes in eine Ehekrise geraten, versucht sich durch eine Reise in sein Elternhaus Gewissheit über seine Situation zu verschaffen. Simon, der am 28. August 1991 in der bosnischen Stadt Foča eintrifft, die er fünfundzwanzig Jahre zuvor verlassen hat, gerät in einen Ort kurz vor Ausbruch des Krieges. Die Bewohner misstrauen und beobachten sich gegenseitig. Schulfreunde, Lehrer, Verwandte sind kaum wiederzuerkennen, sie haben sich verändert und ihre Berufe gewechselt. Sein alter Sportlehrer Landeka ist jetzt bei der Polizei.
Karahasan erzählt eine realistische Geschichte und lädt sie mit mythischen Elementen auf. Am Tag nach seinem Eintreffen in der Stadt wird seine frühere Mitschülerin, die Bosnierin Zuhra, die anders war als die anderen Mädchen und die alle verehrten, geschändet an einem Baum aufgehängt gefunden. Wenige Tage später ist Feslija tot, der Mann, der Zuhra entehrte und den sie abgewiesen hat. Der Mörder wird gesucht und in dem Eindringling aus einer anderen Welt, in Simon Mihailovič, gefunden. Simon, der fremd ist und einheimisch zugleich, glaubt nicht daran, dass man ihn verdächtigt, er versucht die Zeichen umzudeuten, versteht sie nicht. Bei Feslijas Beerdigung beobachtet er, wie die Anwesenden die Handflächen ihren Gesichtern wie einem Spiegel zuwenden. „Denn der Mensch“, schreibt Karahasan, „trägt seinen Tod wie eine Niere in sich, und wo könnte er, der Tod, sich besser zeigen, als in den Handflächen, in denen der Mensch sich als Wesen vollendet, das sich von der Welt abzugrenzen versucht“. Oft greift der Autor Karahasan zum Religionsvergleich, um Ähnlichkeiten und Abweichungen historisch zu erläutern. Er benutzt das Beispiel von Judas, der nicht nur im Christentum, auch im Islam als Verräter gilt. In der islamischen Überlieferung erleidet „Isa“ allerdings keine Qualen, weil Allah ihn vor der Kreuzigung zu sich in den Himmel holt, während das Christentum Judas kreuzigt und unter Schmerzen sterben lässt. „Wie soll ich leben, wenn mir beschieden ist, ein Verräter zu sein, ich aber auf keinen Fall ein Verräter sein will?“, fragt sich Simon Mihailović. Seit jenem 28. August, dem Ankunftstag Simons, sind in der Stadt vier Menschen ermordet worden. „Wenn unsere Seelen“, schreibt Karahasan im „Buch der Gärten“, „nach unserem irdischen Tod das Diesseits aufsuchen, dann suchen sie sicherlich die Ruinen unserer Häuser auf. Unser Zimmer verrät auch das über uns, was wir nicht einmal selbst über uns wissen.“ Da Islam und Christentum Religionen sind, die aus Wüstenregionen stammen, ist ein blühender Garten mit Paradiesvorstellungen behaftet. Der Garten ist ein bewässertes Stück Erde, geschützt von einer Mauer. Dževad Karahasan benutzt die Metapher in seinem „Buch der Gärten“, um Grenzgänge zwischen Islam und Christentum zu zeigen. Er umkreist auch in diesem 2002 erschienenen Buch den Krieg und die Ruinen, die er hinterlassen hat. Der Autor fragt, ob der Garten Erinnerung an die Welt vor unserer Geburt, oder ein Versprechen ist, mit dem uns versichert wird, dass das Paradies möglich ist.
Dževad Karahasan ist ein kluger Beobachter des Fatalen, er beschreibt in seinen Büchern das abgründige Panorama balkanischer Existenz. Darin fehlen weder Grauen und Schrecken, Witz noch Gedankenreichtum, weder die Liebe noch der Tod.
Verena Auffermann

Freitag, 25. August, 20 Uhr, Markgrafentheater
Eintritt: von 5,- / erm. 3,50 bis 9,50 / erm. 8,- Euro