Peter Stamm Seine Helden sind unspektakuläre Gestalten, verhaftet in den Zwängen der Alltäglichkeit. Nach dem Roman „Ungefähre Landschaft“ (2001) über das Schicksal einer jungen Frau in einem kleinen norwegischen Dorf stellt Peter Stamm dieses Mal einen Mann von knapp vierzig in den Mittelpunkt. Andreas ist gebürtiger Schweizer, lebt seit über zehn Jahren in Paris und hat eine Anstellung an einem Gymnasium am Stadtrand. Mithilfe einer Reihe unverbindlicher Liebschaften, die er betreibt, als handele es sich um Körperhygiene, und einem arbeitsamen Wochenrhythmus hat er sich mit seiner Existenz arrangiert. Er spürt keinen Mangel, kennt keine Leidenschaft – alles spielt sich in einer mittelmäßig temperierten Gestimmtheit ab. Auf der Suche nach Lektüre für seine Deutschschüler stößt Andreas auf ein anspruchslos erzähltes Taschenbuch, das ihn an seine unerfüllte Jugendliebe zu der Französin Fabienne erinnert. Plötzlich breitet sich die Empfindung einer verpassten Lebenschance in ihm aus: seine Gefühle hatte er ihr nie gestehen können, und Fabienne war schließlich die Frau seines Schulfreundes Manuel geworden. Unmerklich verschiebt sich etwas in Andreas’ Dasein. Als ein Arzt Schatten auf seiner Lunge entdeckt und er kurz darauf operiert wird, wartet er die Diagnose nicht ab, sondern löst seine Wohnung auf, kündigt seine Stellung und fährt mit einer jungen Kollegin namens Delphine, mit der sich gerade eine flüchtige Beziehung entsponnen hatte, in sein Heimatdorf in die Schweiz. Dort trifft er Fabienne wieder und er besucht sein Elternhaus, das mittlerweile von seinem Bruder und dessen Familie bewohnt wird. Die ungeklärte Verbindung mit Fabienne kommt an einen Schlusspunkt, und zum ersten Mal gelingt es Andreas, zu seinem Bruder einen tieferen Kontakt herzustellen. Als untergründiger Bezugspunkt ist das Bewusstsein seiner eigenen Endlichkeit plötzlich sinnstiftend: auf einmal weiß er, wie sein Leben aussehen muss. Er kehrt zurück nach Frankreich und sucht Delphine an ihrem Urlaubsort auf. Peter Stamm ist ein Erzähler der Behutsamkeit, der das Innere seiner Figuren indirekt zur Sprache bringt. Schon in seinem Debüt „Agnes“ (1998) ist sein Held von einer existenziellen Taubheit umfangen und kann kaum zu sich selbst vordringen, geschweige denn, zu seiner schwangeren Freundin. Seine Figuren bleiben sich fremd. Auch in seinen Erzählungen aus dem Band „Blitzeis“ (1999) sind die Protagonisten meist Beobachter. Sie nehmen ihr Leben nicht in die Hand, sondern es widerfährt ihnen, und aus Angst, zu tief involviert zu sein, werden sie zu Beziehungsvermeidern. Die emotionale Abstinenz spiegelt sich in lapidaren Sätzen und einer lakonischen Sprache. Die große Intensität der Texte stellt sich über das Ungesagte her. Die formstrenge Prosa ist nur die eine Seite des 1963 im Kanton Thurgau in der Schweiz geborenen Schriftstellers: neben einem Fotoband über das Gotthardgebiet hat er für das Schweizer Satiremagazin „Nebelspalter“ Groschenromanparodien verfasst, die 1995 in dem Band „Alles über den Mann“ versammelt erschienen. Theaterstücke und Kinderbücher gehören ebenfalls zu seinem Werk. (M. A.) Auf dem Jungen Podium wird er sein Kinderbuch „Warum wir vor der Stadt wohnen“ vorstellen. Wie es wohl ist, in der Geige der Tante zu wohnen, auf dem Hut des Onkels, im Meer oder auf dem Mond?Auszeichnungen u. a.: Hörspielpreis der Stiftung „Radio Basel“ (1995), Ehrengabe des Kantons Zürich, Werkjahr der Stadt Zürich (1998), Rauriser Literaturpreis, Werkbeitrag der Pro Helvetia (1999), Hörspielpreis der Stiftung „Radio Basel“, Rheingau Literaturpreis (2000), Aufenthaltsstipendium London der Zuger Kulturstiftung, Ehrengabe der Stadt Zürich (2001), Preis der Schweizerischen Schillerstiftung, Carl-Heinrich-Ernst-Kunstpreis, Thurgauer Kulturpreis (2003). Seit 1999 Mitglied im schweizerischen Schriftstellerverband. Seit 2000 Mitglied des P.E.N.-Clubs der Schweiz. Veröffentlichungen (Auswahl): – „Agnes“, Roman, Arche, Zürich/Hamburg 1998, Taschenbuch btb, München September 2006 – „Blitzeis“, Erzählungen, Arche, Zürich/Hamburg 1999, Taschenbuch btb, München 2001 – „Ungefähre Landschaft“, Roman, Arche, Zürich/Hamburg 2001, Taschenbuch btb, München 2003 – „In fremden Gärten“, Erzählungen, Arche, Zürich/Hamburg 2003, Taschenbuch btb, München 2005 – „Der Kuß des Kohaku“, Stücke, Arche, Zürich/Hamburg 2004 – „Warum wir vor der Stadt wohnen“, Kinderbuch, mit Illustr. von Jutta Bauer, Beltz & Gelberg, Weinheim 2005 – „An einem Tag wie diesem“, Roman, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2006 Theater (Auswahl): – „Die Planung des Planes“, UA Schauspielhaus Zürich 2001 – „Après Soleil“, UA Schauspielhaus Zürich 2003 – „Der Kuß des Kohaku“, UA Schauspielhaus Hamburg 2004 – „Die Töchter von Taubenhain“, UA Luzerner Theater 2004 Hörspiele (Auswahl): – „Ich und die anderen“, DRS 1991 – „In Vitro“, DRS 1995 – „Ableben“, WDR 1997 – „Nachtkampf oder die Kunst des Tee-Wegs“, DRS 1999 – „Was wir können“, WDR 2001 – „Das Schweigen der Blumen“, DRS 2004 – „Der Kuss des Kohaku“, SWR 2005 Junges Podium So, 27.8., 14.30 Uhr, Schlossgarten Hauptpodium, 15.30 Uhr, Orangerie im Schlossgarten, 17.30 Uhr, Schlossgarten |
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