Friedrich Christian Delius Friedrich Christian Delius, Markenzeichen FCD, im Februar 1943 in Rom geboren, umkreist seit seinen ersten, vor vierzig Jahren verfassten Gedichten, in seinen vielen Romanen, Novellen, Erzählungen, Ereignisse in der Geschichte der Bundesrepublik. Der Sohn eines westfälischen Pfarrers und einer „milden Mecklenburgerin“, aufgewachsen in der Provinz, zwischen Pfarrhaus, väterlicher Autorität, Bücherregalen und Fußballplatz, nähert sich der Geschichte des Landes, in dem er lebt, nicht chronologisch, aber oft biografisch. F. C. Delius fokussiert neuralgische Punkte von der Studentenrevolution bis zum Fall der Mauer, über Kapitalismuskritik bis zu einem Stück preußischer Herrschergeschichte. Von den „Birnen von Ribbeck“, mit Blick auf den durch Fontane berühmt gewordenen Ort, bis zum Schicksal eines Mannes, der wie Delius das in „Mein Jahr als Mörder“ beschreibt, zugleich Leibarzt von Rudolf Heß und Widerstandskämpfer war. Über den Albtraum einer Frau, die 1977 in der in Mogadischu entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ saß („Mogadischu Fensterplatz“), bis zu den Fußballerlebnissen der eigenen Kindheit im strengen Pfarrhaus: „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“. F. C. Delius ist zu Selbstauskünften bereit. In seiner neuen Erzählung über das „Bildnis der Mutter als junge Frau“ beschreibt der Schriftsteller, der seit einiger Zeit in Rom und Berlin lebt, eine junge schwangere Frau, die im Januar 1943 ihrem Mann von Mecklenburg aus nach Rom gefolgt ist. Kaum ist sie dort angekommen, wird Gert als Soldat nach Tunis abkommandiert. Delius schildert die Stadt mit den überraschten Augen der Schwangeren. Er schickt die Einundzwanzigjährige, weil der Arzt „junge Frau, laufen Sie“ gesagt hat, auf einen Spaziergang durch Rom, von der Via Alessandro Farnese bis zum Kirchenkonzert in der Via Sicilia. Während ihres Spaziergangs beobachtet sie das alltägliche, vom Krieg eingeschränkte Leben, sieht die Schlangen vor der Bäckerei, die Fahnen Mussolinis, bedauert die Katholiken, die sich einem „angeblich unfehlbaren Papst unterwerfen“ müssen, wartet auf Nachricht ihres Mannes, kämpft sich durch die begehrlichen Blicke der Italiener, ist erleichtert, nicht blond zu sein und versucht, unauffällig zu bleiben. Eine gottesfürchtige Person, geprägt vom Protestantismus, von dem Blick auf die Bibel, durch Haushaltsschule und Kindergärtnerinnen-Seminar auf die Rolle als Mutter und Ehefrau an der „Seite des ihr bestimmten Mannes“ vorbereitet. Eine Frau, versehen mit Tugenden, die Studentenrevolution, Frauenbewegung und die Säkularisierung des späten 20. Jahrhunderts unmöglich gemacht haben. Ein Geschöpf aus der Welt des Gehorsams. F. C. Delius betrachtet Rom durch die Augen und den eingeschränkten Horizont einer Frau in der Fremde, er beschreibt den Krieg, oder das, was sie davon mitbekommt, und ihr moralisch-christliches, durch das Elternhaus und die protestantische Kirche geprägtes Selbstverständnis. Sie ist eine Person, deren Denken die Grenzen des Erlaubten nicht überschreitet, die Furcht hat, auch nur ein Schrittchen zu weit zu gehen, die ihre Verankerung in ihrer Erziehung und in Texten der Bibel und Psalmen hat. Die Erzählung über das „Bildnis der Mutter als junge Frau“ ist eine Hommage an eine Deutsche in Rom, die F. C. Delius’ eigene Mutter sein könnte. Unserer Zeit, in der Werte gefordert und belacht werden, hält F. C. Delius ein beeindruckendes Beispiel aus einer vergangenen Epoche entgegen. (V. A.)Auszeichnungen u. a.: Preis „Junge Generation“ zum Kunstpreis Berlin (1967), Villa-Massimo-Stipendium (1971/72), Jahrespreis der „Literarischen Hefte“ (1974), Lesezeichen-Preis für Poesie und Politik (1984), New-York-Stipendium des Deutschen Literaturfonds (1986), Gerrit-Engelke-Literaturpreis (1989), University of Florida-Award for Opening Minds (1994), Stadtschreiber-Literaturpreis des ZDF und der Stadt Mainz (1997), Walter-Hasenclever-Preis, Theodor-Fontane-Preis für sein Gesamtwerk (2004). Mitglied des P.E.N.-Clubs der Bundesrepublik Deutschland. Veröffentlichungen (Auswahl): – „Ein Held der inneren Sicherheit“, Roman, Rowohlt, Reinbek 1981, Taschenbuch ebd. 1984 – „Adenauerplatz“, Roman, Rowohlt, Reinbek 1984 – „Einige Argumente zur Verteidigung der Gemüseesser. Eine Denkschrift“, Rotbuch, Berlin 1985 – „Mogadischu Fensterplatz“, Roman, Rowohlt, Reinbek 1987 – „Konservativ in 30 Tagen. Ein Hand- und Wörterbuch Frankfurter Allgemeinplätze“, Rowohlt, Reinbek 1988 – „Die Birnen von Ribbeck“, Erzählung, Rowohlt, Reinbek 1991 – „Himmelfahrt eines Staatsfeindes“, Roman, Rowohlt, Reinbek 1992 – „Selbstporträt mit Luftbrücke. Ausgewählte Gedichte 1962–1992“, Rowohlt, Reinbek 1993 – „Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde“, Erzählung, Rowohlt, Reinbek 1994, Taschenbuch ebd. 2004 – „Der Spaziergang von Rostock nach Syrakus“, Erzählung, Rowohlt, Reinbek 1995, Taschenbuch ebd. 1998 – „Amerikahaus und der Tanz um die Frauen“, Erzählung, Rowohlt, Reinbek 1997 – „Die Flatterzunge“, Erzählung, Rowohlt, Reinbek 1999 – „Der Königsmacher“, Roman, Rowohlt, Berlin 2001 – „Mein Jahr als Mörder“, Roman, Rowohlt, Berlin 2004, Taschenbuch ebd. 2006 – „Die Minute mit Paul McCartney. Memo-Arien“, Transit, Berlin 2005 – „Bildnis der Mutter als junge Frau“, Erzählung, Rowohlt, Berlin, September 2006 Theater (Auswahl): – „Waschtag“, UA Wolfgang-Borchert-Theater, Münster 1988 – „Die Flatterzunge“, UA Nationaltheater Mannheim 2000 – „Die nachlassende Geschmeidigkeit der Lippen“, UA Nationaltheater Mannheim 2000 Hörspiele (Auswahl): – „Die zehnte Nacht am Adenauerplatz“, WDR/SWF 1984 – „Das Ultimatum“, WDR/HR 1988 – „So reizend wie sein Name“, WDR/HR 1990 – „Die Hand am Kinderwagen“, WDR 1992 – „Das Jericho-Syndrom“, WDR 1999 Sa, 26.8., 16 Uhr, Schlossgarten |
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