Kathrin Passig Am späten Vormittag des 26. Juni 2006 war die Sensation perfekt: Mit der 1970 in Deggendorf und seit 1991 in Berlin lebenden Sachbuchautorin, Übersetzerin und Internet-Entwicklerin Kathrin Passig gewann eine im Literaturbetrieb weitgehend Unbekannte sowohl den Ingeborg Bachmann-Preis als auch den Klagenfurter Kelag-Publikumspreis. Ihr Siegertext „Sie befinden sich hier“ war nach eigenen Angaben ihr erster literarischer Text überhaupt. Ein Sieg im Vorbeigehen also, ein Zufallstreffer? Oder eine neue literarische Entdeckung, wie es die Jury-Vorsitzende Iris Radisch einschätzte? Ein Ingeborg Bachmann-Preis jedenfalls, der einige Kontroversen über den Literaturbetrieb an sich und das klassische Literaturverständnis auslöste. Eigentlich ist Kathrin Passig keine Unbekannte im Literaturbetrieb, zumindest dann, wenn man ihn als weites Feld der Textproduktion begreift. Sie ist seit Jahren als Übersetzerin tätig, veröffentlichte zusammen mit Ira Strübel eine regelmäßige Kolumne in der „taz“, schreibt für die „Berliner Zeitung“, für „Spiegel Online“ und das Computermagazin „c't“. Für ihren Webblog „riesenmaschine.de“, den sie mit Holm Friebe, Sascha Lobo und anderen entwickelt hat und betreibt, wurde sie – ebenfalls im Juni 2006 – mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. Außerdem führt sie zusammen mit Holm Friebe die „Zentrale Intelligenz Agentur“, eine Werbeagentur ohne Aufgabenfeld, die mit zahlreichen namhaften Literaten zusammenarbeitet. Als Sachbuchautorin widmet sie sich merkwürdigen Themen: Mit Ira Strübel veröffentlichte sie ein Handbuch für Sadomasochisten mit dem schönen Titel „Die Wahl der Qual". Dass Passig in der Lage sein würde, Belletristik zu verfassen, verwundert niemanden, der sie länger kennt. Beim 26. Erlanger Poetenfest wird Kathrin Passig den Text lesen, mit dem sie den Ingeborg Bachmann-Wettbewerb gewonnen hat, „Sie befinden sich hier“, in dem sie von einer tödlichen Verirrung im Schnee erzählt. Davon, wie man mit Worten die Wirklichkeit ableugnen kann, von der Mordlust, vom Pathos, das darin steckt, wenn man den eigenen, unausweichlichen Tod durch genialische Gedankenassoziationen entdramatisiert. Von der absurden Weisheit des Wirklichkeitsverlusts. Es ist ein Text, der beweist, wie erkenntnisstiftend Komik sein kann, auch oder vor allem wenn sie distanziert und kühl vorgetragen wird. Dass diese den Stil schärft und den Geist auf eine höchst kalkulierte Art zum Rasen bringen kann. Vielleicht ist dieser Text, wie die Schriftsteller-Kollegin Jana Hensel unterstellt, nur eine intellektuelle Fingerübung ohne literarische Relevanz, vielleicht ist er eine kalkuliert verfasste Parodie auf den Literaturbetrieb. Vielleicht tritt mit diesem Text aber auch eine neue, noch schwer einzuordnende Schriftstellergeneration hervor – an die sich Suhrkamp, Hanser und Co. erst noch gewöhnen müssen.Auszeichnungen: Ingeborg Bachmann-Preis, Kelag-Publikumspreis der Tage der Deutschsprachigen Literatur Klagenfurt, Grimme Online-Award (2006). Veröffentlichungen (Auswahl): – „Die Wahl der Qual“ zus. mit. Ira Strübel, Rowohlt 2000 – „Wirtschaft“ in: Jim Avignon: „Welt und Wissen“, zus. mit Ira Strübel, Verbrecher Verlag 2003 – „Das nächste große Ding“, zus. mit Holm Friebe, Verbrecher Verlag 2006 – „Lexikon des Unwissens“, zus. mit Alexander Scholz, Rowohlt Berlin 2007. Sa, 26.8., 17.30 Uhr, Orangerie im Schlossgarten, 20 Uhr, media.art.zentrum und So, 27.8., 17 Uhr, Schlossgarten |
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