Sabine Schiffner Am Anfang steht hier ein „Familienwunder“, die lange Erinnerungsreise durch die Genealogie einer hanseatischen Bürgerfamilie: „der duft der großmutter ist tausend jahr / ketten legt sie auf mein haar.“ Familiengeschichten, die über Generationen hinweg Lebensläufe prägen, haben die 1965 in Bremen geborene Sabine Schiffner seit Beginn ihres Schreibens beschäftigt. Nach dem Studium der Germanistik und der Theater- und Filmwissenschaften war sie zunächst Regieassistentin und Schauspielerin am Schauspielhaus in Köln, wo sie heute lebt. Bereits in ihren ersten Gedichten („Besteck im Kopf“ 1994) und später in ihrem Debütroman „Kindbettfieber“ (2005) widmete sie sich innerfamiliären Traum- und Wunsch-Bildern: „Immer, immer hatte ich die Sehnsucht nach der Heimat, immer wenn ich an Bremen gedacht habe, hat es mir schier das Herz zerrissen.“ In „Kindbettfieber“ hatte die Autorin die Geschichte einer Bremer Kaufmannsfamilie über vier Generationen hinweg Revue passieren lassen. In den Gedichten ihres jüngsten Lyrikbandes „Male“ (2006) folgt man seltsam traumverlorenen Blicken in diese Lebenswelt des Bremer Familienverbands, Blicke, die einen immer tiefer in eine scheinbar unversehrte Welt zwischen Kaninchengärten, Pflaumenbäumen und großbürgerlichen Wohnzimmern hineinlocken. „Die Erinnerung ist ein wundersames Palais“, heißt ein Gedicht-Titel Sabine Schiffners, der den Ostberliner Surrealisten Johannes Jansen zitiert – und zugleich auf die romantische Grundfigur der „Male“ verweist. Denn wundersam romantisch ist doch so einiges an diesen Texten, die in durchweg retrospektivem Gestus das Album der Kindheit aufblättern. Sabine Schiffner rekonstruiert Urszenen einer Kindheit, in denen noch das Staunen möglich war vor dem Zauber der Naturdinge. Und so werden emphatisch „wolkenschiffe“ am Himmel über der Weser beschworen oder der „morgentau von nussbaumblättern“. Aber die magische Aufladung von Naturdingen wird stets gebrochen durch Erinnerungen an kriegerische Schrecken, die diese Kindheitslandschaften verwüstet haben. Kleine erzählende Sequenzen legen sich in diesen Gedichten übereinander, werden verbunden zu einem autobiografischen Kindheitsmosaik. Und immer wieder signalisieren Spiegel-Blicke elementare Selbstbegegnungen des lyrischen Subjekts. So landet man in diesen Gedichten an der „schnittstelle / aus ahnung und gegenwart“, wie es in einer Anspielung auf das Frühwerk des Romantikers Joseph von Eichendorff heißt. Dabei bindet Sabine Schiffner ihre Sehnsuchtsbilder an anrührende Vogel-Topoi: Grünfinken, Amseln und Nachtschwalben flankieren als Wappentiere die romantischen Ausblicke in versunkene Kindheiten – so dass man wie die Protagonistin des Gedichts „du holde kunst“ am Ende ganz beglückt feststellen kann: „ich bin ganz leicht singt sie / wo ist die erdenschwere bloß / geblieben“. (M. B.)Auszeichnungen u. a.: Bremer Literaturstipendium, Martha-Saalfeld-Förderpreis des Landes Rheinland-Pfalz, Fellowshipstipendium auf der Raketenstation Hombroich, Aufenthaltsstipendium im Künstlerhaus Schloß Wiepersdorf (2004), Literaturförderpreis der Jürgen Ponto-Stiftung (2005), Aufenthaltsstipendium der Villa Aurora in Los Angeles (2006). Veröffentlichungen (Auswahl): – „Besteck im Kopf“, Gedichte, hrsg. von Norbert Hummelt und Ekkehard Skoruppa, Emons, Köln 1994 – „Kindbettfieber“, Roman, S. Fischer, Frankfurt a. M. 2005, Taschenbuch ebd., April 2007 – „Male“, Gedichte, zu Klampen!, Springe 2006 Sa, 26.8., 19 Uhr, Schlossgarten |
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