Ulrich Schmid

Trotz modernster Kommunikationstechnologien ist es schwer, Ulrich Schmid zu erreichen. Stets befindet er sich auf einem anderen Kontinent, forscht den Folgen von Krisen, Kriegen, Katastrophen nach. Zwar lebt der langjährige Auslandskorrespondent der „Neuen Zürcher Zeitung“ derzeit im ruhigen Prag, doch ist sein literarisches Werk von den mannigfaltigen Erfahrungen in Afrika, Asien und Russland geprägt. In seinem Debütroman „Der Zar von Brooklyn“ (2000) beschrieb er die korrupten Verhältnisse im nachsozialistischen Russland, die vereinten Machenschaften von KGB und Mafia, und erlaubte sich dabei, stilistisch an die russischen Erzähler des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen. „Ein perfekter Schmöker“, jubelte die „FAZ“, und die „Süddeutsche Zeitung“ attestierte dem Debütanten „körpergenauen Realismus“. Auch im neuen Roman „Aschemenschen“ dominiert dieser Realismus. Da wird das zarte Geräusch einer weggeschnippten Wurstpelle beschrieben, doch auch weniger subtile Vorgänge – bis hin zu Folterszenen – rücken dem Leser hautnah auf den Leib. Denn auch „Aschemenschen“ ist ein politischer Roman. Er spielt in einer abgelegenen Provinz Chinas und im sozialistischen Äthiopien der 70er-Jahre. Die Brücke zwischen Orten und Zeiten bildet der Held Gerd, ein ostdeutscher Businessman mit Stasi-Vergangenheit. Die „schauderhafte Präzision“ in der Figurenzeichnung, die die „Neue Zürcher Zeitung“ erkennt, lässt den hässlichen Deutschen plastisch werden. „Gerd ist ein Scheusal“, sagt der „Deutschlandfunk“, „das Scheusal in der Maske des Biedermannes“. Stück um Stück wird Gerds wahres Gesicht entblättert, doch schenkt Ulrich Schmid nach über 500 Seiten seines Politthrillers dem Leser kein kathartisches Happy End. Das hat es in der Wirklichkeit nämlich auch nicht gegeben. Stasi-Agenten, die zu DDR-Zeiten im Ausland folterten, wurden bis heute nicht zur Rechenschaft gezogen. Im Nachwort schreibt Schmid: „Ich habe etliche Folterknechte kennen gelernt in meinem Leben, und mir graut vor der erniedrigenden Plattheit ihres Lächelns und vor ihren kleinen, freundlichen Gesten, mit denen sie ihre Vergangenheit zu töten versuchen. Ich fürchte mich davor, das Böse in ihren Zügen nicht finden zu können.“ Zum Glück ist das nicht eingetreten: „Aschemenschen“ schildert das Böse hinter dem Lächeln. (F. F. W.)
Auszeichnungen u. a.: „Kulturelle Auszeichnung“ des Kantons Zürich, Literatur, für den „Zar von Brooklyn" (2000).

Veröffentlichungen (Auswahl): – „Der Zar von Brooklyn“, Roman, Eichborn, Frankfurt a. M. 2000, Taschenbuch Heyne, München 2002 – „Aschemenschen“, Roman, Eichborn, Frankfurt a. M. 2006


Sa, 26.8., 18 Uhr, Schlossgarten