Angela Krauß Angela Krauß wurde 1950 in Chemnitz geboren, wollte eigentlich in die Werbung, überlegte neu und studierte von 1976 bis 1979 am Leipziger Literaturinstitut „Johannes R. Becher“. Ihr erster Roman hieß 1988 „Das Vergnügen“. Dann erschienen Erzählungen, kurze Kostbarkeiten, kein Realismus, immer poetische Welteinsichten. „Kunst“, davon geht die Autorin aus, „ist ein Liebeszustand“. Das ist ihren Sätzen anzumerken, von denen einmal ein Kritiker gesagt hat, sie seien wie „Amorpfeile“. Angela Krauß kämpft um die Restromantik, um das Aufblühen der Fantasie. Ihre Literatur ist der Zeit enthoben, aber nicht ganz, denn soviel ist klar, „die gewagte Gesellschaftsepoche liegt fünfzehn Jahre zurück“. Typisch Angela Krauß, das sozialistische System „gewagte Gesellschaftsepoche“ zu nennen. In ihren Büchern sitzt die Ex-DDR wie der Stachel im Fleisch. Sie packt Szenen von Not, Erpressung und Bespitzelung in erschreckende Sätze, macht aber das Schwere leicht. Ihre Welt lässt sich in Menschen, Dinge und Tiere einteilen, in Subjekte und Objekte, in Wahrnehmende und Wahrgenommene. Schon in „Weggeküsst“ (2002) schlägt sie aus ihrem Leipziger Wohnort in unmittelbarer Nähe des Zoos Funken. In „Wie weiter“ trompeten die Elefanten zur vollen Stunde, und die Ich-Erzählerin ruft ihnen durch das offene Fenster zu: „In Freiheit wüsstet ihr weiter“. Wer an solchen Zweideutigkeiten zwischen Elefant und Ex-DDR keinen Spaß hat, ist der falsche Leser. Außer den Tieren im Zoo, einer eigenen Schildkröte und einem schwarzen Kater, außer den Bewohnern des Hauses mitsamt ihren vielen Kindern, kommen drei „Liebesmenschen“ vor: Toma, eine Russin, die behauptet, dass Russen Nomaden sind und an nichts hängen, Leo, ein viel älterer Mann, den sie vor dem 11. September in den New Yorker Twin Towers kennen gelernt hat und Roman, ein Langschläfer ohne besondere Kennzeichen. Oder doch. Vielleicht ist dieser Geliebte gar kein Mann, sondern ein Buch, der Roman, die Weltliteratur! Als große Ratgeberin fungiert die Mutter. Sie ist weise und witzig. Viele Männer, sagt sie zum Beispiel, seien besser als ein einziger, und mahnt: Überfordere die Männer nicht, gib ihnen eine konkrete Form, die sie begreifen können. Die Mutter, sagt die Tochter, „ist ein realistischer Mensch“. In „Wie weiter“ springt die Ich-Erzählerin zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen New York, der Wohnung am Zoo und Moskau hin und her. „Wie weiter“ sind Gedankensplitter, kluge, komische, ernste Erkenntnisse über das Leben, die Liebe, die Politik, die Unentrinnbarkeit, die Vorstellungskraft und die Unmöglichkeit, sich die Zukunft auszudenken. Zum Schluss verschwindet der Kater, er kommt zurück, stinkend und verletzt, ein Loch im Kopf, man kann an den Teufel denken, kann, muss aber nicht. Die heitere Klugheit von Angela Krauß ist ein Genuss. Sprache, manchmal vergessen wir das, kann viel. Hier ist es zu lesen. (V. A.)Auszeichnungen u. a.: Hans Marchwitza-Preis (1986), Ingeborg Bachmann-Preis (1988), Stadtschreiberin in Graz (1990), Förderpreis des Lessing-Preises der Freien und Hansestadt Hamburg (1995), Berliner Literaturpreis und Johannes Bobrowski-Medaille, Mitglied der Sächsischen Akademie der Künste (1996), Thomas Valentin-Literaturpreis, Gerrit Engelke-Preis der Stadt Hannover (2001), Ehrengabe der deutschen Schillerstiftung (2002), Max Kade-Gastprofessur in St. Louis (2005). Mitglied im P.E.N.-Zentrum der Bundesrepublik Deutschland und der Sächsischen Akademie der Künste. Veröffentlichungen (Auswahl): – „Das Vergnügen“, Roman, Aufbau, Berlin/Weimar 1984, Taschenbuch Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990 – „Glashaus“, Erzählungen, Aufbau, Berlin/Weimar 1988, Teilausgabe unter dem Titel „Kleine Landschaft“, Erzählungen, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1989 – „Der Dienst“, Erzählung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1990, Taschenbuch ebd. 2001 – „Die Überfliegerin“, Erzählung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1995, Taschenbuch ebd. 2002 – „Sommer auf dem Eis“, Erzählung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1998 – „Milliarden neuer Sterne“, Erzählung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1999 – „Weggeküßt“, Erzählung, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2002 – „Die Gesamtliebe und die Einzelliebe: Frankfurter Poetikvorlesungen“, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2004 – „Wie weiter“, Roman, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 2006 Hörspiel (Auswahl): – „Meine Oma stirbt nie“, Deutschlandfunk 1988 Fernsehen (Auswahl): – „Im Sommer schwimme ich im See“, MDR 1992 Sa, 26.8., 17.30 Uhr, Schlossgarten |
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